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Freitag, 02.08.2024, 14. Tag der Tour de Natur: von Hann. Münden nach Kassel
Schon die Nacht und leider auch der Morgen brachte Regen, für die Zeltübernachtenden etwas ärgerlich, weil das nasse Equipment eingepackt werden musste. Für die Hallenschläfer:innen kein Problem: die riesige Halle hielt dicht. Für alle: das Frühstücken begann in Regenbekleidung. Aber diese Lage dauerte nicht lange an, der Regen hörte auf, die Tour hinterließ eine geräumte Halle und schaffte es an diesem Morgen pünktlich, d. h. um 9:40 Uhr abzufahren. Den Tageshut, schon am gestrigen Mittag von Regine übernommen, hatte Tabea auf.
Fast nie sind es die Eltern mit kleinen Kindern, die um 9:30 Uhr noch nicht all ihre Sachen gepackt und auf die Räder geladen sowie das Frühstück eingenommen haben. Ähnlich verhält es sich bei den Helfern, die die Lastenräder bestücken z. B. mit der Lautsprecher-Ausrüstung, deren Akkus über Nacht nachgeladen werden müssen – oder den Lastenanhänger mit den Musikinstrumenten oder jenen mit den Getränkekisten, aus denen am Vorabend gern ein Bier gegen Beschaffungskosten entnommen wurde.
Aber es gibt immer wieder einzelne Touries, für die der Abfahrtszeitpunkt doch überraschend zu kommen scheint und/oder die noch nicht ganz verstanden haben, dass die Turnhalle schon deutlich vor diesem Zeitpunkt geräumt sein muss, weil noch das Ausfegen von der Tour zu erledigen ist. Zu einer höchstpersönlichen Erklärung dieser Sonderheit konnte am Offenen Abend ein gewisser Kettenblatt zu Wort gebracht werden.
Da mittlerweile einige Touries auf Pedelecs radeln, fast alle Smartphones bei sich führen, einige mit Hörgeräten durch den Tag hören, sorgt die Tourorganisation auch für eine hinreichende Nachladeinfrastruktur (Steckerleisten) an den meist nur spärlich vorhandenen Steckdosen. Ein gewisses Problem lassen bemerkenswert ähnliche Kaufentscheidungen der Touries aufkommen. So ein Ei-Samsung-Google-etc.-Phone ist meist x-fach an den Verteilerleisten eingesteckt und bedarf verwechselungsfreier Identifikation. Ähnliches gilt für Akkus eines württembergischen Herstellers und für Sandalen mit gelber Herstelleraufschrift sowie für Packtaschen aus dem Hause Umtrieb.
Die Tour radelte das Flusstal der Fulda hinauf, auf der flussbegleitenden Landstraße, die meist von Linden bestanden ist. Um den Autoverkehr, der die auch heute wieder mehr als hundert Radler:innen nicht überholen durfte, dann endlich doch mal wieder „frei“ fahren zu lassen, werden regelmäßig kleine Stopps eingelegt, also die Fahrbahn geräumt und alle Touries müssen sich dann auf einem Parkplatz oder auf abzweigenden Wirtschaftswegen einen Stellplatz suchen und zwar so, dass sie ihr Rad nicht gleich an deren Eingang abstellen und damit den Nachkommenden den Zugang versperren. Das klappte jetzt, am letzten Radltag der diesjährigen Tour de Natur, schon fast problemlos. Wie nennt sich so etwas: Gewohnheitsbildung, Lernen in Gruppen, Achtsamkeit, Selbstverständlichkeit?
Nach knapp 40 km fuhr die Tour in die Großstadt Kassel ein und folgte den Straßenbahnschienen bis in die Innenstadt. Vor dem Staatstheater fand die Mittagspause statt, wieder gut versorgt von Fläming Kitchen – unter blauem Himmel und bei wieder fast sommerheiß scheinender Sonne.
Tabea konnte für 30 Touries eine kostenlose Führung durch das nebendran gelegene naturkundliche Museum Ottoneum arrangieren. Und: auch dessen Toiletten durften von allen Tourteilnehmern genutzt werden.
Der Oberbürgermeister von Kassel, Sven Schöller (Partei: Grüne), begrüßte die Tourteilnehmer:innen und freute sich, dass das Anliegen der Tour auch nach Kassel transportiert werde. Das seit 2015 bestehende Radverkehrskonzept Kassels wurde von Tabea angesprochen. Wo steht Kassel jetzt, fast ein Jahrzehnt später?
„Wir sind noch nicht da, wo wir sein wollten“, so die Antwort von Sven Schöller. Aber es sei einiges schon geschaffen worden, so insbesondere die Fahrradstraße im Westen von Kassel, das sog. Königstor. Hier ist etwas Heikles mit einjähriger Testphase installiert worden: eine Sperre (Poller als „Modalfilter“) leitet den KfZ-Durchgangsverkehr um, während der Radverkehr auf bequemer und schneller Route fließen kann und den Campus der Universität mit der Innenstadt und dem Stadtteil Wilhelmshöhe (ICE-Bahnhof) verbindet.
Vorzeigen kann die Stadt Kassel auch das Fahrradparkhaus am Rathaus, das aber noch unterfrequentiert sei. Als ersten Schritt favorisiere er als Bürgermeister Maßnahmen, die wenig umstritten sind wie z. B. die Ertüchtigung der schon vorhandenen Fahrradrouten und erst danach sollen grundlegende Umrüstungen der Verkehrsstraßen in Angriff genommen zu werden. Damit werde der latent vorhandene Widerstand bestimmter Bevölkerungsgruppen reduziert. Immerhin: Das Wissen über die extreme direkte und indirekte öffentliche Finanzierung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) und über dessen vielfäch schädliche Wirkungen sei schon seit Jahrzehnten vorhanden, aber Tatsache sei auch, dass dieses Wissen in großen Bevölkerungsgruppen noch nicht angekommen sei bzw. von diesen ignoriert werde.
Im Hintergrund standen auch die Plakate der Initiative „Neue Herkulesbahn“. Sven Schöller wies darauf hin, dass dieses Projekt sicherlich besondere lokale Wertschätzung findet, auch die seine, aber die überregionalen Förderungsmöglichkeiten für diese eher unter touristischen Gesichtspunkten attraktive Bahnstrecke seien kaum vorhanden. Reiner Borchert vom Förderverein Neue Herkulesbahn wies darauf hin, dass Kassel wegen des Landschaftsparks am Herkulesdenkmal zu einer Weltkulturerbestadt geworden ist. Die Verlängerung der Tramstrecke bis hinauf zum Denkmal sei dringend nötig, denn der bestehende Busverkehr sei unzureichend, um diese Kulturdenkmal zu erreichen.
Dann führte die Theater- und Artistikgruppe der Tour de Natur das Stück „Wir bringen den Stein ins Rollen“ auf, das mit einer Gesangspromenade ausklang und an die „Schwäb‘sche Eisenbahne“ erinnerte.
Durch die Innenstadt radelte die Tour weiter zum alten, dem Hauptbahnhof Kassel, schob ihre Fahrräder durch das Bahnhofsgebäude auf Gleis 1 und begab sich dann in das angrenzende Gebäude. Dort begrüßte Dr. Stefan Klein, Leiter des Verkehrsangebots des NVV, die Tour de Natur im angenehm kühlen Vortragsraum. Zuvor konnten sich die Touries mit Kalt- und Warmgetränken versorgen.
Das RegioTram-System ist seit 2007 in Funktion, seit 2013 im Gesamtnetz. Grundidee ist, das Eisenbahn- mit dem Straßenbahnsystem zu verknüpfen, um insbesondere umstiegsfrei vom Umland in die Innenstadt von Kassel zu gelangen (und umgekehrt). Zudem soll der (neue) Fernverkehrsbahnhof Kassel-Wilhelmshöhe mit dem (alten) Nahverkehrsbahnhof Kassel Hauptbahnhof verknüpft werden.
Mehrere technische Voraussetzungen müssen erfüllt sein: (a) gleiche Spurweite; (b) ähnliche Bahnsteighöhen (d. h. nicht zu hohe Bahnhofsbahnsteige, da Niederflurstraßenbahnen präferiert werden); (c) mehrere Antriebsarten (elektrisch mit Mehrsystemmotoren (Systemwechselstelle) und für die nicht elektrifizierte Bahnstrecke: dieselelektrischer und straßenbahnelektrischer Antrieb); (d) doppelte Sicherungssysteme (inbes. Fahren auf Sicht vs. Signalsteuerung); (e) Adaptation der Bahnsteigsbreite (schmalere Straßenbahnfahrzeuge).
Die Umlandserschließung erfolgt über das Bahnnetz und bedient damit nicht die gesamte Fläche. Im 30-min-Takt wird werktags gefahren, im innerstädtischen Bereich kann durch Überlagerung der Linien ein erheblich dichterer Takt angeboten werden. An Wochenenden gibt es einen 60-min-Takt.
Eine Führung von Thomas Wolf über die RegioTram-Bahnsteige schloss sich an, zu der auch eine Besichtigung eines Tramfahrzeugs gehörte. Etwas enttäuschend: nur 2 x 3 Fahrradstellplätze pro Fahrzeug. Allerdings bieten die Regionalexpresse und -bahnen, die außerhalb der Stadt auf den Strecken verkehren, erheblich mehr Stellplätze. Ob es viel Sinn macht, innerhalb von Kassels Innenstadt – weiter fährt die RegioTram nicht im Stadtgebiet – für mehr Fahrradtransport in der RegioTram zu sorgen, diese Frage ist vielleicht schon beantwortet.
Am späten Nachmittag machte sich die Tour auf den Weg hinauf zur Wilhelmshöhe. Unabweislich dabei die Feststellung: Kassel ist eine Stadt mit erheblichen Steigungen (und Abfahrten). Das Nachtquartier, die Kasseler Waldschule, liegt hoch oben über der Stadt, im fast parkhaften Gelände neben dem Bergpark, in idyllischer Ruhe, allerdings mit gelegentlicher Wortmeldung einer kleinen Schafsherde.
Hier konnten sich die Touries in den Klassenräumen und auf dem weitläufigen Areal ihre Schlafplätze suchen. Und einige fanden dabei ganz besondere Gelegenheiten (s. Foto). Am Morgen wurde allerdings berichtet, dass zahlreiche Schnecken dieses Spezialquartier für ihre Nacht gleichfalls nutzen und sich Zutritt zum Schlafsack verschaffen wollten.
Am Abend fand unter der großen Linde das Abschlussplenum statt. Hier wurde wurde viel gelobt, viel geschmunzelt und viel versprochen: Es geht weiter mit der Tour de Natur, auch im nächsten Jahr!
Astrid, auch auf dieser Tour wieder gut gelaunt den abendlichen Eincheck für Neuhinzukommende machend, berichtete, dass insgesamt 200 Menschen an der diesjährigen Tour teilnahmen und durchschnittlich 120 Radler:innen pro Tag dabei waren.
Text: KH3; Fotos: Simone, KH2, KH3
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Donnerstag, 01.08.2024, 13. Tag der Tour de Natur: von Uslar nach Hann. Münden (43 km)
Noch ein herrlicher Sommermorgen mit gutem Frühstück auf dem leider voll versiegelten (=geteerten) Schulhof, aber eben reichlich bestückt mit Sitzbänken an Tischen. So konnte gut gelaunt gestartet werden.
Die Route führte in Längsrichtung durch den Solling, über Landstraßen mit Blick auf die Hänge, die überwiegend als – nach den Regenwochen grüne – Wiesen daliegen, auf den Höhen die Waldungen des Solling, meist Laubbäume.
Hinunter führte die Route dann in das Tal der Weser und dort in den kleinen Ort Lippoldsberg.
Über den ökologischen Zustand der Weser informierte Dr. Jürgen Bäthe vom Fachbüro EcoRing beim Info-Stopp an der Gierseilfähre. Der Salzgehalt des Flusses sei erheblich in den letzten Jahrzehnten gesenkt worden, was durch die Analyseergebnisse seines Instituts kontinuierlich als Auftragsforschung gezeigt wird. Massive „Verschmutzung“ der Weser ist durch die im oberen Verlauf bzw. am Zufluss Werra gelegene Kali fördernde Industrie (Firma K+S) eingetreten, denn deren reduzierte Einleitung von kali- und phosphorhaltigen Abwässern in die Oberweser vergiftete die Fische und produziert (Präsens, denn hier müssten die angrenzenden Bundesländer strengere Vorgaben für die Landwirtschaft durchsetzen) ein extremes Algenwachstum, für das eben auch die Nitrat- und Phospateinträge durch den Düngereinsatz der Agrarwirtschaft ursächlich sind.
Die Fauna der Weser sei beeindruckend. Die Einwanderung von salzliebenden Krebsarten ist rückläufig (warum: s.o.), das Aufwachsen von anderen Arten, deren Fressfeinde somit ausbleiben, findet wieder statt. So sind nun auch wieder viele Fischarten in der Weser angesiedelt. Die geringe Sauerstoffversorgung des Flusses wird insbesondere während der warmen Jahreszeit zu einem erheblichen Problem, da aufgrund der großen „Nährstoffeinleitung“ zu großes Algenwachstum stattfindet, was erhöhten Sauerstoffverbrauch mit sich bringt, der der Wasserfauna dann fehlt.
Ein Naturgesetz gibt zu denken: Salz lässt sich aus fließendem Wasser nicht durch Filter oder chemische Reaktionen entfernen, sondern nur durch „Verdünnung“ – oder durch energieaufwändige Siedeprozesse. Somit tragen nicht nur die Kaliindustrie zur schädlichen Salzeinleitung ein, sondern z. B. auch alle Spülmaschinennutzer, deren „Reinigungsmittel“ zu ca. 80% aus Salz bestehen, das in den Kläranlagen nicht (s.o.) entfernt werden kann. Auch unsere wassersparenden Spülmaschinen tragen somit nicht unerheblich zur Versalzung der Flüsse bei.
Die Schiffbarkeit der Weser ist ähnlich gering wie jene der von der Tour anfangs besuchten Elbe. Als Bundeswasserstraße findet Ausbaggern, Buhnenbau und Uferabmauerung statt, was die Ökologie nachteilig verändert. Ein erheblicher Mengenzufluss der Weser stammt aus der Edertalsperre, die im Sauerland mit dem einzigen Zweck erbaut worden ist, als Wasserreservoir für den Mittellandkanal zu dienen: Über die Eder wird – meist für die Flussfauna zu kühles Tiefenwasser – als Nachfüllmenge in die Fulda und von dieser in die Weser geleitet, um in Minden in den Kanal hochgepumpt zu werden.
Eine grundlegende Problemlösung illustriert das Beispiel der Lahn, die aus dem Bundesbesitz herausgekauft worden ist und nun nicht mehr als Schifffahrtstraße zugerichtet, sondern als Fluss vom Land und den anliegenden Kommunen gepflegt wird.
Zum Abschluss zeigte Jürgen Bäthe am Ufer der Weser einige Kleinlebewesen, insbesondere Süßwasserkrebse und -schwämme; letztere erbringen erstaunliche Filtrationsleistungen.
Dann hieß es, auf die Räder – und bei hochsommerlicher Hitze radelten die Touries weiter über schöne Radwege und über Nebenstraßen entlang der Weser zum Mittagshalt am Kloster Bursfelde. Hier gab es genug Schattenplätze, Salat und schmackhafte, etwas der indischen Küche zuneigende Linsensuppe und Brot mit veganen Aufstrichen.
Die Weiterfahrt ging das Wesertal hinauf, fast immer in Sichtweite des Weserradwegs, der mittlerweile der beliebteste Radfernweg Deutschlands ist. Bei schwülem Wetter, ein Gewitter oder Regenguss war angekündigt und traf zum Glück erst abends ein, radelten die Touries in die Altstadt von Hann. Münden und stellten direkt an der Werra ihre Räder ab. Im Innenhof des Packhauses fand dann eine Informations- und Diskussionsveranstaltung statt.
Zunächst erinnerte Kai daran, dass im Jahr 2018 hier in dieser Stadt das erste Freie Lastenrad des Landkreises Göttingen im Beisein von Jürgen Trittin, dem Bundestagsabgeordneten der Grünen/Bündnis 90, an die Arbeitsgruppe „Leila“ des ADFC Göttingen übergeben worden ist – während des damaligen Besuchs der Tour de Natur. Auf dem Tacho dieses Rades, das Kai auf die diesjährige Tour mitgenommen und mit Carla-Cargo zu noch mehr Transportkapazität erweitert hat, stehen heute mehrere Zehntausend Kilometer. Es funktioniert immer noch prima und leistet seine Dienste im Landkreis Göttingen.
Herr Tobias Dannenberg, der Bürgermeister von Hann. Münden, begrüßte im Innenhof des Packhofs die Tour de Natur. Nachfolgend konnten die Touries Fragen an die hier anwesenden Fachpersonen richten.
Nicole Prediger, Leiterin des Bereichs Stadtentwicklung, erläuterte das Konzept der „Schwammstadt“, von dem die Tour de Natur bereits in Hannover einiges erfahren hatte. Die Stadt Hann. Münden bietet z. B. Beratungsangebote für Personen, die Privatgärten klimafreundlich gestalten möchten. Noch wird nicht auf die Besitzer jener Gärten mit Sanktionen eingewirkt, die z. B. größere Steinflächen statt Beetflächen vorhalten (sog. Schottergärten).
Vor ca. fünf Jahren ist eine Klimafolgenanalyse für die Stadt vorgenommen worden. Bezogen auf diesen Rahmen hat fortan jedes Bauvorhaben nachzuweisen, dass die darin aufgelisteten Anforderungen erfüllt werden. So muss z. B. das Ausmaß der Versiegelung bei Neu- bzw. der Entsiegelung bei Umbau von Altsubstanz ausgewiesen werden. Es gibt ein Projekt zur Wasserversickerung an den Hangflächen oberhalb der Stadt, um insbesondere bei Starkregen den raschen Wassereintrag in Werra und Fulda zu verhindern. Die Hochwassergefährdung der Stadt ist augenfällig: Hier treffen Fulda und Werra zusammen, die die Altstadt umfließen. Hochwasserstandsmarken am Packhaus, das direkt an die Werra angrenzt, wirken beunruhigend.
Adalbert Leuner blickte kritisch auf die tradierte Radverkehrssituation der Stadt. In den kommenden Jahren soll dieser Verkehrsbereich deutlich aufgewertet und ausgebaut werden. Immerhin ist die Stelle des Radverkehrsbeauftragten der Stadt geschaffen worden, die er mit großem Engagement übernommen hat.
Interessant ist das Projekt Fachwerk5Eck, das von fünf Städten (Hann. Münden, Einbeck, Duderstadt, Einbeck, Osterode) zur Rettung von Fachwerkgebäuden gegründet worden ist. Immerhin ist die Sanierung dieser Bausubstanz wesentlich umweltfreundlicher als der Abriss und Neubau. Zudem wird das Bild einer historischen Innenstadt damit erhalten und unschöne Eindrücke verfallender Bauobjekte werden vermieden.
Frau Sabine Momm ist Mitglied der „Bürgergenossenschaft Mündener Altstadt e.V.“, die seit elf Jahren besteht. Sabine Momm führte die Touries zu dem nahegelegenen ersten Sanierungsprojekt, das heute als historisch angemessen restauriertes und zugleich modernes Veranstaltungs- und Wohnhaus genutzt wird. Mittlerweile hat die Genossenschaft vier weitere Häuser bzw. Hausruinen gekauft und deren Sanierung begonnen und teilweise schon fertiggestellt. Übrigens: Für die Grundsanierung des ersten Gebäudes hatten sich damals 190 engagierte Menschen mit mehr oder minder großen handwerklichen Fähigkeiten zusammen gefunden und das Objekt in nur neun Tagen grundsaniert (nach neun Monaten wurde „alles“ fertig). Diese Menschen waren eingebunden in einen grandiosen Arbeitsplan eines hier sich einbringenden Architekten, der alle Gewerke und die Aktivisten so einband, dass sie sich dabei nicht „auf die Füße traten“, und das in einem engen, 3-geschossigen Fachwerkgebäude!
Zum Abend hin radelte die Tour zum Quartier, dem Grotefend Gymnasium, wo sie sich auf dem Außengelände mit Zelten und in der riesigen Turnhalle mit Liegematten ausbreiten konnte.
Um 20 Uhr begann eine sehr interessante Abendveranstaltung, der Vortrag von Dr. Jochen Eckart (Professor für Verkehrsökologie an der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft) zum Thema „Sicherer Radverkehr“. Die vorgestellten empirischen Ergebnisse der Radverkehrsforschung waren zum Teil verblüffend. So sind die Unfallszahlen zwischen den verschiedenen Führungsformen des Radverkehrs (insbesondere Radweg, Schutzstreifen, Mischverkehr) fast gleich, obgleich hier die subjektive Sicherheitsempfindung erhebliche Unterschiede macht. Und obendrein: An Knotenpunkten sind fahrbahngeführte Radwege deutlich sicherer als die Alternativen.
Jochen Eckart hob hervor, dass es ein („das“) Regelwerk für die Gestaltung der Radinfrastruktur gibt, die ERA („Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“, herausgegeben von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen in Köln, kostenpflichtig). Die ERA gilt für die Radverkehrsplanung und – so die Einschätzung des Referenten – ist durchaus hilfreich. Die Straßenverkehrsbehörde hingegen arbeitet auf der Grundlage der StVO (Straßenverkehrsordnung), die von den meisten Fachpersonen als nicht mehr zeitgemäß und eher radverkehrsungünstig eingeschätzt werde.
Es gab zahlreiche, mehr oder minder auf die Vortragsthematik bezogene Fragen aus dem großen Kreis zu Zuhörer, was auch zeigt, dass die Touries mit der Thematik viele persönliche Erfahrungen verbinden. Jochen Eckart gelang es immer wieder, den schwierigen Balanceakt zu vollführen: alle Frager zu Wort kommen zu lassen und auf deren Anliegen zu reagieren und dennoch den Fachvortrag fortzusetzen.
Als Empfehlung wies er auf das Projekt Unfallatlas hin, das interessante empirische Daten der statistischen Landesämter und des statistischen Bundesamtes gut aufbereitet liefert.
Ein heikles Thema ist die zunehmende Nutzung von Pedelecs; diese Nutzergruppe ist mit steigender Frequenz an tödlichen Verkehrsunfällen beteiligt. Was kaum bekannt ist: Wählt man die Anzahl der Verkehrstoten bezogen auf die Kilometerleistung als Variable, so ist das Radfahren ungefähr so sicher wie PKW-Fahren oder Zufußgehen. Extrem unsicher ist hingegen das Motorradfahren und extrem sicher ist der ÖPNV.
Text: KH3; Fotos: Simone, KH3
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Mittwoch, 31.07.2024, 12. Tag der Tour de Natur: von Heckenbeck nach Uslar (53 km)
Laue Sommernacht in Heckenbeck, Frühstück bei warmer Sonne im Hof der Freien Schule – so konnte es bei bester Stimmung losgehen, auf die allerdings durchaus hügelige Strecke durch das Weserbergland hinein und hinauf in den Solling – und das bei hochsommerlichen 30 Grad. Etwas Kühlung für Radler bringt dabei der sanfte Fahrtwind, aber bei Pausen nur der Schatten, für die Touries, die Räder aus Platzgründen in die Sonne. Den heutigen Tourhut hat wiederum Regine auf.
Im Dorf Greene gab es eine Pause – am Unverpackt Laden, der sein Angebot auch auf Tischen vor dem Ladenlokal ausgebreitet hatte. Hier kauften etliche Touries ein, gern Nüsse und Trockenfrüchte oder frisch geerntete Aprikosen, noch lieber das Bio-Eis.
Unser ökologisches Problem mit den viel zu vielen Plastik-Verpackungen ist riesig und belastet nicht nur die Müllentsorgung, deren Mülltrennung (gelber Sack) zu 40 % nicht in das Recycling führt, sondern in die Müllverbrennung und – gern dort genommen – als Brennstoff für die Zementfabrikation. Plastikteilchen gelangen auch in die Weltmeere und verursachen dort eine Verseuchung der Tiere. Das brachte die Tour de Natur 2019 in einem eindrucksvollen Theaterstück den Gästen des Strandbads Warnemünde zur Kenntnis: „Früher war der Fisch in der Verpackung, heute ist die Verpackung im Fisch.“In Einbeck radelte eine Teilgruppe der Tour durch die Fußgängerzone und verteilte dort ihre Flyer an die Passanten. Auf dem Platz hinter dem Rathaus versammelten sich dann alle Touries. Dort informierte Valentin von der „Verkehrswende Einbeck“ über die Verkehrsplanung der Stadt. Die Stadtverwaltung kann auf das in Auftrag gegebene Nahmobilitätskonzept des Ingenieurbüros Schubert aus Hannover zurückgreifen, das eine Ausweitung der Radverkehrsflächen vorsieht. Allerdings werden darin auch wenig sinnvolle Vorschläge gemacht wie z. B die Umwidmung von Fußverkehrsflächen im Zentrum der Altstadt für Radwege. Eine gewisse Kfz-Lastigkeit des Konzepts sei auch gegeben. Wie auch schon in Hildesheim erfahren, stößt die Umsetzung auf partikularen Widerstand. Zudem sei die ÖPNV-Erschließung des weitläufigen Stadtgebietes eher dürftig.
Die Ilmebahn ist 2018 wieder reaktiviert worden, die Einbeck über Salzderhelden mit Göttingen verbindet. Hier wird einstündiger Takt angeboten.
Eine lange Mittagspause am Waldbadsee in Lauenberg war sehr willkommen, nicht nur wegen der dort von Fläming-Kitchen angebotenen Mahlzeit, sondern auch wegen der bei sommerlicher Hitze möglichen Abkühlung im Naturfreibad.
Hoch mussten die Touries hinauf (ca. 250 Hm), um an das Forsthaus Grimmerfeld im Solling zu gelangen. Dort empfing Förster Peter Martensen die Tour. Der Solling ist ein Gebirgszug, der westlich von Göttingen gelegen ist. Neuhaus ist das 500 m hoch gelegene Zentrum dieses waldreichen Mittelgebirges. Die sog. potenzielle Vegetation (d. h. der letzte Vegetationszustand vor Eingriff größerer menschlicher Nutzung) des Solling wäre ein geschlossener Buchenwald.Glassande sind im Solling verfügbar, so dass kleine Glashütten und Glasmanufakturen entstanden, deren Holzkohlebedarf immens war. Zudem wurden die Wälder beweidet, was den Aufwuchs von Jungbäumen erheblich reduzierte. Insbesondere Rinder fraßen die jungen Austriebe und reduzierten den Aufwuchs auch und gerade von Buchen.
Aufforstungsprogramme, die nach der Einschränkung bzw. des Verbots von Waldweide einsetzten, brachten schwerpunkthaft schnellwachsende Fichtenbestände. Heute sind 60 % der Fläche mit Eichen (als frühe Aufforstung und heutige Nachforstung) und Buchen bestanden. Ein Großteil davon wird als FFH-Gebiete (Flora-Fauna-Habitat, Naturschutzrichtlinie der EU) ausgewiesen. Zudem sind mehrere Naturschutzgebiete (NSG) eingerichtet worden. Reine Fichtenaufwuchsflächen soll es künftig nicht mehr geben; Mischbestände werden intendiert. Gleichwohl ist schon jetzt, nach den letzten heißen Sommern und geringen Niederschlagsmengen, klar, dass auch die Buchen leiden. Ungefähr 10% der Waldfläche werden unbewirtschaftet gelassen. Hier findet das interessante Experiment statt: Wie regelt sich die „Natur“ selbst, welche Sukzession findet statt?
Im Solling gibt es etliche Hochmoore, die tw. entwässert und auch abgebaut worden sind. Deren CO2-Bilanz ist fatal. Deshalb sind Wiedervernässungsprogramme begonnen worden. Über deren durchaus heikle kurz- und mittelfristig günstigere Bilanz konnte sich die Tour de Natur 2019 in Bad Sülze informieren: Zunächst verfaulen die überwässerten Grünpflanzen und produzieren dabei Methan, das ca. 10x klimaschädlicher ist als CO2, späterhin dominiert die Reduzierung des letzteren.
Eine weitergehende touristische Nutzung des Solling wird intendiert und z. B. in der Region von Neuhaus mit dem zertifizierten Wanderwegeprogramm „Wilde Heimat“ gefördert. Bislang könne man den Solling vielleicht eher als „Geheimtip“ bezeichnen.
Weiter ging es durch den Solling, den waldreichen Tälern folgend bis nach Uslar. In dieser Kleinstadt begrüßte der Bürgermeister Torsten Bauer die Tour de Natur. Er bedankte sich für den Besuch der Tour in seiner Stadt und lobte deren Einsatz für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung.Anschließend erläuterte Jörg Grabowsky von den Ortsräten Schoningen, Ahlbershausen und Verliehausen, dass die Verknüpfung der Radwegsverbindung von Göttingen quer durch den Solling über Uslar zur Weser, die schon seit zwanzig Jahren geplant werde, nun endlich in die Realisierungsphase übergehe.
Timmi fragte kritisch an, warum vor Uslar eine aufwändige Verbreiterung der B241 durchgeführt werde, wohingegen z. B. die Uslar mit Northeim und Altenbeken verbindende Bahntrasse nur eingleisig sei.Noch immer ohne den angekündigten Regen, allenfalls von ein paar Tropfen berührt, radelte die Tour zum Nachtquartier. Eine freundliche Mitarbeiterin des Bürgermeisters hat die Tour de Natur in der Turnhalle der Grundschule einquartiert, die – so die nachfolgende Inansichtnahme der Touries – ein prima, weil großes und im Vergleich zu Heckenbeck reichlich mit Duschen und Toiletten ausgestattetes Quartier bietet. Anders formuliert: eine intermittierende Reduzierung der Körperpflege auf das unbedingt Notwendige lässt sich so leichter in die Biographie einfügen. Und als weiteres Highlight: Viele Sitzbänke mit Tischen auf dem Schulhof sorgten für bequem einzunehmende Mahlzeiten.
Nach dem wieder leckeren Abendessen aus Wam’s Küche fand dann der Offene Abend statt. Auch in diesem Jahr gab es wieder eine bunte Mischung von Akrobatik, musikalischen Darbietungen, einer kuriosen Neubearbeitung des Grimm’schen Aschenputtel-Märchens, humorvollen und ernsten Texten und sogar einen bewegungskünstlerischen Beitrag eines vierbeinigen Tourmitglieds. Jakob und OIiver führten durch das Programm, das viel Beifall fand.
Zum Abschluss gab es Musik zum Gruppentanz, in Fortsetzung des Abends im Trillkegut Hildesheim. So klang ein schöner Sommerabend aus.
Text: KH3; Fotos von KH2, Simone und KH3