Laue Sommernacht in Heckenbeck, Frühstück bei warmer Sonne im Hof der Freien Schule – so konnte es bei bester Stimmung losgehen, auf die allerdings durchaus hügelige Strecke durch das Weserbergland hinein und hinauf in den Solling – und das bei hochsommerlichen 30 Grad. Etwas Kühlung für Radler bringt dabei der sanfte Fahrtwind, aber bei Pausen nur der Schatten, für die Touries, die Räder aus Platzgründen in die Sonne. Den heutigen Tourhut hat wiederum Regine auf.
Im Dorf Greene gab es eine Pause – am Unverpackt Laden, der sein Angebot auch auf Tischen vor dem Ladenlokal ausgebreitet hatte. Hier kauften etliche Touries ein, gern Nüsse und Trockenfrüchte oder frisch geerntete Aprikosen, noch lieber das Bio-Eis.
Unser ökologisches Problem mit den viel zu vielen Plastik-Verpackungen ist riesig und belastet nicht nur die Müllentsorgung, deren Mülltrennung (gelber Sack) zu 40 % nicht in das Recycling führt, sondern in die Müllverbrennung und – gern dort genommen – als Brennstoff für die Zementfabrikation. Plastikteilchen gelangen auch in die Weltmeere und verursachen dort eine Verseuchung der Tiere. Das brachte die Tour de Natur 2019 in einem eindrucksvollen Theaterstück den Gästen des Strandbads Warnemünde zur Kenntnis: „Früher war der Fisch in der Verpackung, heute ist die Verpackung im Fisch.“
In Einbeck radelte eine Teilgruppe der Tour durch die Fußgängerzone und verteilte dort ihre Flyer an die Passanten. Auf dem Platz hinter dem Rathaus versammelten sich dann alle Touries. Dort informierte Valentin von der „Verkehrswende Einbeck“ über die Verkehrsplanung der Stadt. Die Stadtverwaltung kann auf das in Auftrag gegebene Nahmobilitätskonzept des Ingenieurbüros Schubert aus Hannover zurückgreifen, das eine Ausweitung der Radverkehrsflächen vorsieht. Allerdings werden darin auch wenig sinnvolle Vorschläge gemacht wie z. B die Umwidmung von Fußverkehrsflächen im Zentrum der Altstadt für Radwege. Eine gewisse Kfz-Lastigkeit des Konzepts sei auch gegeben. Wie auch schon in Hildesheim erfahren, stößt die Umsetzung auf partikularen Widerstand. Zudem sei die ÖPNV-Erschließung des weitläufigen Stadtgebietes eher dürftig.
Die Ilmebahn ist 2018 wieder reaktiviert worden, die Einbeck über Salzderhelden mit Göttingen verbindet. Hier wird einstündiger Takt angeboten.
Eine lange Mittagspause am Waldbadsee in Lauenberg war sehr willkommen, nicht nur wegen der dort von Fläming-Kitchen angebotenen Mahlzeit, sondern auch wegen der bei sommerlicher Hitze möglichen Abkühlung im Naturfreibad.
Hoch mussten die Touries hinauf (ca. 250 Hm), um an das Forsthaus Grimmerfeld im Solling zu gelangen. Dort empfing Förster Peter Martensen die Tour. Der Solling ist ein Gebirgszug, der westlich von Göttingen gelegen ist. Neuhaus ist das 500 m hoch gelegene Zentrum dieses waldreichen Mittelgebirges. Die sog. potenzielle Vegetation (d. h. der letzte Vegetationszustand vor Eingriff größerer menschlicher Nutzung) des Solling wäre ein geschlossener Buchenwald.
Glassande sind im Solling verfügbar, so dass kleine Glashütten und Glasmanufakturen entstanden, deren Holzkohlebedarf immens war. Zudem wurden die Wälder beweidet, was den Aufwuchs von Jungbäumen erheblich reduzierte. Insbesondere Rinder fraßen die jungen Austriebe und reduzierten den Aufwuchs auch und gerade von Buchen.
Aufforstungsprogramme, die nach der Einschränkung bzw. des Verbots von Waldweide einsetzten, brachten schwerpunkthaft schnellwachsende Fichtenbestände. Heute sind 60 % der Fläche mit Eichen (als frühe Aufforstung und heutige Nachforstung) und Buchen bestanden. Ein Großteil davon wird als FFH-Gebiete (Flora-Fauna-Habitat, Naturschutzrichtlinie der EU) ausgewiesen. Zudem sind mehrere Naturschutzgebiete (NSG) eingerichtet worden. Reine Fichtenaufwuchsflächen soll es künftig nicht mehr geben; Mischbestände werden intendiert. Gleichwohl ist schon jetzt, nach den letzten heißen Sommern und geringen Niederschlagsmengen, klar, dass auch die Buchen leiden. Ungefähr 10% der Waldfläche werden unbewirtschaftet gelassen. Hier findet das interessante Experiment statt: Wie regelt sich die „Natur“ selbst, welche Sukzession findet statt?
Im Solling gibt es etliche Hochmoore, die tw. entwässert und auch abgebaut worden sind. Deren CO2-Bilanz ist fatal. Deshalb sind Wiedervernässungsprogramme begonnen worden. Über deren durchaus heikle kurz- und mittelfristig günstigere Bilanz konnte sich die Tour de Natur 2019 in Bad Sülze informieren: Zunächst verfaulen die überwässerten Grünpflanzen und produzieren dabei Methan, das ca. 10x klimaschädlicher ist als CO2, späterhin dominiert die Reduzierung des letzteren.
Eine weitergehende touristische Nutzung des Solling wird intendiert und z. B. in der Region von Neuhaus mit dem zertifizierten Wanderwegeprogramm „Wilde Heimat“ gefördert. Bislang könne man den Solling vielleicht eher als „Geheimtip“ bezeichnen.
Weiter ging es durch den Solling, den waldreichen Tälern folgend bis nach Uslar. In dieser Kleinstadt begrüßte der Bürgermeister Torsten Bauer die Tour de Natur. Er bedankte sich für den Besuch der Tour in seiner Stadt und lobte deren Einsatz für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung.
Anschließend erläuterte Jörg Grabowsky von den Ortsräten Schoningen, Ahlbershausen und Verliehausen, dass die Verknüpfung der Radwegsverbindung von Göttingen quer durch den Solling über Uslar zur Weser, die schon seit zwanzig Jahren geplant werde, nun endlich in die Realisierungsphase übergehe.
Timmi fragte kritisch an, warum vor Uslar eine aufwändige Verbreiterung der B241 durchgeführt werde, wohingegen z. B. die Uslar mit Northeim und Altenbeken verbindende Bahntrasse nur eingleisig sei.
Noch immer ohne den angekündigten Regen, allenfalls von ein paar Tropfen berührt, radelte die Tour zum Nachtquartier. Eine freundliche Mitarbeiterin des Bürgermeisters hat die Tour de Natur in der Turnhalle der Grundschule einquartiert, die – so die nachfolgende Inansichtnahme der Touries – ein prima, weil großes und im Vergleich zu Heckenbeck reichlich mit Duschen und Toiletten ausgestattetes Quartier bietet. Anders formuliert: eine intermittierende Reduzierung der Körperpflege auf das unbedingt Notwendige lässt sich so leichter in die Biographie einfügen. Und als weiteres Highlight: Viele Sitzbänke mit Tischen auf dem Schulhof sorgten für bequem einzunehmende Mahlzeiten.
Nach dem wieder leckeren Abendessen aus Wam’s Küche fand dann der Offene Abend statt. Auch in diesem Jahr gab es wieder eine bunte Mischung von Akrobatik, musikalischen Darbietungen, einer kuriosen Neubearbeitung des Grimm’schen Aschenputtel-Märchens, humorvollen und ernsten Texten und sogar einen bewegungskünstlerischen Beitrag eines vierbeinigen Tourmitglieds. Jakob und OIiver führten durch das Programm, das viel Beifall fand.
Zum Abschluss gab es Musik zum Gruppentanz, in Fortsetzung des Abends im Trillkegut Hildesheim. So klang ein schöner Sommerabend aus.
Text: KH3; Fotos von KH2, Simone und KH3
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