Freitag, 02.08.2024, 14. Tag der Tour de Natur: von Hann. Münden nach Kassel

Schon die Nacht und leider auch der Morgen brachte Regen, für die Zeltübernachtenden etwas ärgerlich, weil das nasse Equipment eingepackt werden musste. Für die Hallenschläfer:innen kein Problem: die riesige Halle hielt dicht. Für alle: das Frühstücken begann in Regenbekleidung. Aber diese Lage dauerte nicht lange an, der Regen hörte auf, die Tour hinterließ eine geräumte Halle und schaffte es an diesem Morgen pünktlich, d. h. um 9:40 Uhr abzufahren. Den Tageshut, schon am gestrigen Mittag von Regine übernommen, hatte Tabea auf.

Fast nie sind es die Eltern mit kleinen Kindern, die um 9:30 Uhr noch nicht all ihre Sachen gepackt und auf die Räder geladen sowie das Frühstück eingenommen haben. Ähnlich verhält es sich bei den Helfern, die die Lastenräder bestücken z. B. mit der Lautsprecher-Ausrüstung, deren Akkus über Nacht nachgeladen werden müssen – oder den Lastenanhänger mit den Musikinstrumenten oder jenen mit den Getränkekisten, aus denen am Vorabend gern ein Bier gegen Beschaffungskosten entnommen wurde.

Lastenanhänger für die Musikinstrumente

Aber es gibt immer wieder einzelne Touries, für die der Abfahrtszeitpunkt doch überraschend zu kommen scheint und/oder die noch nicht ganz verstanden haben, dass die Turnhalle schon deutlich vor diesem Zeitpunkt geräumt sein muss, weil noch das Ausfegen von der Tour zu erledigen ist. Zu einer höchstpersönlichen Erklärung dieser Sonderheit konnte am Offenen Abend ein gewisser Kettenblatt zu Wort gebracht werden.

Lastentourrad: Variante kinder(regen)sicher

Da mittlerweile einige Touries auf Pedelecs radeln, fast alle Smartphones bei sich führen, einige mit Hörgeräten durch den Tag hören, sorgt die Tourorganisation auch für eine hinreichende Nachladeinfrastruktur (Steckerleisten) an den meist nur spärlich vorhandenen Steckdosen. Ein gewisses Problem lassen bemerkenswert ähnliche Kaufentscheidungen der Touries aufkommen. So ein Ei-Samsung-Google-etc.-Phone ist meist x-fach an den Verteilerleisten eingesteckt und bedarf verwechselungsfreier Identifikation. Ähnliches gilt für Akkus eines württembergischen Herstellers und für Sandalen mit gelber Herstelleraufschrift sowie für Packtaschen aus dem Hause Umtrieb.

Die Tour radelte das Flusstal der Fulda hinauf, auf der flussbegleitenden Landstraße, die meist von Linden bestanden ist. Um den Autoverkehr, der die auch heute wieder mehr als hundert Radler:innen nicht überholen durfte, dann endlich doch mal wieder „frei“ fahren zu lassen, werden regelmäßig kleine Stopps eingelegt, also die Fahrbahn geräumt und alle Touries müssen sich dann auf einem Parkplatz oder auf abzweigenden Wirtschaftswegen einen Stellplatz suchen und zwar so, dass sie ihr Rad nicht gleich an deren Eingang abstellen und damit den Nachkommenden den Zugang versperren. Das klappte jetzt, am letzten Radltag der diesjährigen Tour de Natur, schon fast problemlos. Wie nennt sich so etwas: Gewohnheitsbildung, Lernen in Gruppen, Achtsamkeit, Selbstverständlichkeit?

Unterwegs im Fuldatal

Nach knapp 40 km fuhr die Tour in die Großstadt Kassel ein und folgte den Straßenbahnschienen bis in die Innenstadt. Vor dem Staatstheater fand die Mittagspause statt, wieder gut versorgt von Fläming Kitchen – unter blauem Himmel und bei wieder fast sommerheiß scheinender Sonne.

Tabea konnte für 30 Touries eine kostenlose Führung durch das nebendran gelegene naturkundliche Museum Ottoneum arrangieren. Und: auch dessen Toiletten durften von allen Tourteilnehmern genutzt werden.

Der Oberbürgermeister von Kassel, Sven Schöller (Partei: Grüne), begrüßte die Tourteilnehmer:innen und freute sich, dass das Anliegen der Tour auch nach Kassel transportiert werde. Das seit 2015 bestehende Radverkehrskonzept Kassels wurde von Tabea angesprochen. Wo steht Kassel jetzt, fast ein Jahrzehnt später?

Begrüßung der Tour de Natur durch den Oberbürgermeister von Kassel, Sven Schöller

„Wir sind noch nicht da, wo wir sein wollten“, so die Antwort von Sven Schöller. Aber es sei einiges schon geschaffen worden, so insbesondere die Fahrradstraße im Westen von Kassel, das sog. Königstor. Hier ist etwas Heikles mit einjähriger Testphase installiert worden: eine Sperre (Poller als „Modalfilter“) leitet den KfZ-Durchgangsverkehr um, während der Radverkehr auf bequemer und schneller Route fließen kann und den Campus der Universität mit der Innenstadt und dem Stadtteil Wilhelmshöhe (ICE-Bahnhof) verbindet.

Vorzeigen kann die Stadt Kassel auch das Fahrradparkhaus am Rathaus, das aber noch unterfrequentiert sei. Als ersten Schritt favorisiere er als Bürgermeister Maßnahmen, die wenig umstritten sind wie z. B. die Ertüchtigung der schon vorhandenen Fahrradrouten und erst danach sollen grundlegende Umrüstungen der Verkehrsstraßen in Angriff genommen zu werden. Damit werde der latent vorhandene Widerstand bestimmter Bevölkerungsgruppen reduziert. Immerhin: Das Wissen über die extreme direkte und indirekte öffentliche Finanzierung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) und über dessen vielfäch schädliche Wirkungen sei schon seit Jahrzehnten vorhanden, aber Tatsache sei auch, dass dieses Wissen in großen Bevölkerungsgruppen noch nicht angekommen sei bzw. von diesen ignoriert werde.

Transparente mit den Forderungen der Tour de Natur

Im Hintergrund standen auch die Plakate der Initiative „Neue Herkulesbahn“. Sven Schöller wies darauf hin, dass dieses Projekt sicherlich besondere lokale Wertschätzung findet, auch die seine, aber die überregionalen Förderungsmöglichkeiten für diese eher unter touristischen Gesichtspunkten attraktive Bahnstrecke seien kaum vorhanden. Reiner Borchert vom Förderverein Neue Herkulesbahn wies darauf hin, dass Kassel wegen des Landschaftsparks am Herkulesdenkmal zu einer Weltkulturerbestadt geworden ist. Die Verlängerung der Tramstrecke bis hinauf zum Denkmal sei dringend nötig, denn der bestehende Busverkehr sei unzureichend, um diese Kulturdenkmal zu erreichen.

Dann führte die Theater- und Artistikgruppe der Tour de Natur das Stück „Wir bringen den Stein ins Rollen“ auf, das mit einer Gesangspromenade ausklang und an die „Schwäb‘sche Eisenbahne“ erinnerte.

Durch die Innenstadt radelte die Tour weiter zum alten, dem Hauptbahnhof Kassel, schob ihre Fahrräder durch das Bahnhofsgebäude auf Gleis 1 und begab sich dann in das angrenzende Gebäude. Dort begrüßte Dr. Stefan Klein, Leiter des Verkehrsangebots des NVV, die Tour de Natur im angenehm kühlen Vortragsraum. Zuvor konnten sich die Touries mit Kalt- und Warmgetränken versorgen.

Das RegioTram-System ist seit 2007 in Funktion, seit 2013 im Gesamtnetz. Grundidee ist, das Eisenbahn- mit dem Straßenbahnsystem zu verknüpfen, um insbesondere umstiegsfrei vom Umland in die Innenstadt von Kassel zu gelangen (und umgekehrt). Zudem soll der (neue) Fernverkehrsbahnhof Kassel-Wilhelmshöhe mit dem (alten) Nahverkehrsbahnhof Kassel Hauptbahnhof verknüpft werden.

Vortrag über die Kasseler RegioTram von Dr. Stefan Klein

Mehrere technische Voraussetzungen müssen erfüllt sein: (a) gleiche Spurweite; (b) ähnliche Bahnsteighöhen (d. h. nicht zu hohe Bahnhofsbahnsteige, da Niederflurstraßenbahnen präferiert werden); (c) mehrere Antriebsarten (elektrisch mit Mehrsystemmotoren (Systemwechselstelle) und für die nicht elektrifizierte Bahnstrecke: dieselelektrischer und straßenbahnelektrischer Antrieb); (d) doppelte Sicherungssysteme (inbes. Fahren auf Sicht vs. Signalsteuerung); (e) Adaptation der Bahnsteigsbreite (schmalere Straßenbahnfahrzeuge).

Die Umlandserschließung erfolgt über das Bahnnetz und bedient damit nicht die gesamte Fläche. Im 30-min-Takt wird werktags gefahren, im innerstädtischen Bereich kann durch Überlagerung der Linien ein erheblich dichterer Takt angeboten werden. An Wochenenden gibt es einen 60-min-Takt.

Eine Führung von Thomas Wolf über die RegioTram-Bahnsteige schloss sich an, zu der auch eine Besichtigung eines Tramfahrzeugs gehörte. Etwas enttäuschend: nur 2 x 3 Fahrradstellplätze pro Fahrzeug. Allerdings bieten die Regionalexpresse und -bahnen, die außerhalb der Stadt auf den Strecken verkehren, erheblich mehr Stellplätze. Ob es viel Sinn macht, innerhalb von Kassels Innenstadt – weiter fährt die RegioTram nicht im Stadtgebiet – für mehr Fahrradtransport in der RegioTram zu sorgen, diese Frage ist vielleicht schon beantwortet.

Eine RegioTram im Hauptbahnhof Kassel vor TdN-Rädern

Am späten Nachmittag machte sich die Tour auf den Weg hinauf zur Wilhelmshöhe. Unabweislich dabei die Feststellung: Kassel ist eine Stadt mit erheblichen Steigungen (und Abfahrten). Das Nachtquartier, die Kasseler Waldschule, liegt hoch oben über der Stadt, im fast parkhaften Gelände neben dem Bergpark, in idyllischer Ruhe, allerdings mit gelegentlicher Wortmeldung einer kleinen Schafsherde.

Hier konnten sich die Touries in den Klassenräumen und auf dem weitläufigen Areal ihre Schlafplätze suchen. Und einige fanden dabei ganz besondere Gelegenheiten (s. Foto). Am Morgen wurde allerdings berichtet, dass zahlreiche Schnecken dieses Spezialquartier für ihre Nacht gleichfalls nutzen und sich Zutritt zum Schlafsack verschaffen wollten.

Das Schlafrohr

Am Abend fand unter der großen Linde das Abschlussplenum statt. Hier wurde wurde viel gelobt, viel geschmunzelt und viel versprochen: Es geht weiter mit der Tour de Natur, auch im nächsten Jahr!

Unter der Linde vor dem Plenum

Astrid, auch auf dieser Tour wieder gut gelaunt den abendlichen Eincheck für Neuhinzukommende machend, berichtete, dass insgesamt 200 Menschen an der diesjährigen Tour teilnahmen und durchschnittlich 120 Radler:innen pro Tag dabei waren.

Text: KH3; Fotos: Simone, KH2, KH3


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.