Samstag, 27. Juli 2019, achter Tag der TdN 2019: Ludwigslust – Schwerin (55 km)

Bei nicht zu heißem Wetter, mit beträchtlichem Seiten-, fast schon Rückenwind ging die Tour de Natur auf ihre heutige Etappe. Die erste Station fand in der Feldmark außerhalb von Ludwigslust statt und zwar auf einem recht großen Feld der Firma „Sanddorn Storchennest“. Deren Betriebsleiter Frank Spaethe erläuterte den Tourteilnehmern diese Form der biologischen Fruchtwirtschaft.

Die Entstehung schildert auch ein Stück DDR-Geschichte und Landwirtschaftsplanung. Da Zitrusfrüchte fast nur gegen Devisen einzuführen waren, entstand in der DDR die Idee, den einen hohen Vitamin-C-Gehalt aufweisenden Sanddorn anzubauen. Dazu wurden in Zusammenarbeit mit der Berliner Humboldt-Universität Versuche durchgeführt und schließlich hier in Ludwigslust eine GPG (Gärtnerische Produktionsgenossenschaft) gegründet, die Sanddornanbau und Früchteverarbeitung betrieb.

Nach der Wende wurden der Gutshof und die Sanddornfelder einer GmbH übereignet, die als Biobetrieb wirtschaftet und sich dem Verband „Biopark“ angeschlossen hat. Die Bodenfruchtbarkeit in dieser Region ist sehr gering (ca. 17 – 27 Bodenpunkte; zum Vergleich: Magdeburger Börde: 100), was für den Anbau der anspruchslosen Fruchtsträucher durchaus passend ist, falls, wie hier gegeben, ein recht hoher Grundwasserstand  vorhanden ist.

Sanddorn wird auf einer Gesamtfläche von ungefähr 115 ha angebaut. Ungefähr ein Zehntel der zweihäusigen Pflanzen sind männlich und dienen lediglich der Windbestäubung, tragen also keine verwertbaren Früchte. Die stark ölhaltigen Früchte müssen in einem recht engen Zeitfenster von wenigen Wochen geerntet werden, da diese späterhin Buttersäure bilden, was den Geschmack sehr ,verändert‘.

Das Beernten ist keine einfache Angelegenheit, weil die Früchte dabei leicht zerbrechen und zudem die Sträucher Dornen tragen. So ist folgende Ernte- und Verarbeitungstechnik entwickelt worden. In Handarbeit werden die fruchttragenden Zweige aus den Sträuchern geschnitten, dann zum Sammelort verbracht, wo die größeren Holzanteile nochmals herausgeschnitten werden. Die noch an den Zweigen sitzenden Beeren werden dann schockgefrostet (bei -80 Grad Celsius), danach in eine Rüttelmaschine gegeben, die Stängel und Zweireste von den Beeren trennt. Nun können die Beeren weiter verarbeitet oder im Kühlhaus eingelagert werden.

Es wurde sehr deutlich, dass Sandornanbau und -beerntung sehr arbeitskräfteintensiv ist. Sanddornsäfte oder Fruchtmark sind tatsächlich exzellente Vitaminversorger und werden von Getränkeherstellern oder Molkereien gern verwendet. Auch die von der Tour de Natur besuchte Firma Voelkel gehört zu den Großabnehmern von Sanddorn Storchennest.

Informationsveranstaltung auf einem Anbaufeld von Sanddorn Storchennest in Ludwigslust

Eine Zwischenpause legte die Tour de Natur in der Nähe des Dorfes Lüblow ein. Hier konnte auf eine moderne Stallanlage geblickt werden. In diesem fensterlosen Gebäude wird Junghennenmast betrieben. Dazu dann später mehr – und zwar auf der Aktion in Schwerin.

Blick auf einen Geflügelmaststall

Die Mittagspause konnte auf Einladung des Bürgermeisters von Lübesse auf dem dortigen Sportplatz mit Toilettenbenutzung stattfinden. Es gab Schatten spendende Bäume und eine leckere Mahlzeit, die Wam Kats Küchenmannschaft in kurzer Zeit hier draußen zubereitet hatte.

Für die Mittagsmahlzeit hat das Küchenpersonal recht wenig Vorbereitungszeit, da am Quartier morgens die gesamte Küche abgebaut und verstaut werden muss, um dann die entsprechende Wegstrecke zu fahren und am Rastplatz unter häufiger nicht so günstigen Bedingungen wieder alles aufzubauen und dann zu kochen ist. Eigentlich zeigt sich hier immer ein kleines Meisterstück an Disziplin und Logistik.

Nach eingenommener Mahlzeit beschrieb Bürgermeister Burghard Vogel den Tourteilnehmern das höchst anspruchsvolle Energieselbstversorgungsprojekt seines Dorfes. In der Umgebung befinden sich mehrere sog. Windparks, von denen einer auf gemeindeeigenem Boden steht und demnächst aus der Sonderförderung fällt. Die Gemeinde plant nun, in eigener Regie diese Windkraftanlagen zu betreiben und das Dorf damit sowohl mit Strom, als auch eine noch zu errichtende Gasproduktionsanlage mit Energie zu versorgen. Das Gas wiederum soll über das bestehende Ferngasrohrleitungssysstem im Dorf verteilt werden. Ziel ist das „ernergieautonome Dorf“. Das Medieninteresse an diesem Vorhaben ist beträchtlich, und auch in den Administrationen wird es sehr gelobt. Allerdings wird keine finanzielle Förderung in Aussicht gestellt.

Mittagspause im (künftig) ernergieautonomen Dorf Lüblow

Einen Infostopp legte die Tour de Natur kurz vor Schwerin ein. Vor dem Tor einer einstmaligen Kaserne informierte xxx über das hier eingerichtete Erstaufnahmelager für Flüchtlinge. Diese Einrichtung entspricht in etwa dem von Bundesinnenminister Seehofer favorisierten Konzept der „Ankerzentren“. Die im Durchschnitt 300 Flüchtlinge leben unter kasernierten Bedingungen, werden mit Mahlzeiten versorgt, haben kaum sinnvolle Betätigungs- und Bildungsmöglichkeiten und werden weitab von städtischen Strukturen ohne hinreichende ÖPNV-Verbindungen geradezu isoliert. Außenstehenden wird der Zutritt nur unter besonderen Bedingungen gewährt. So fehlt den Flüchtlingen auch der Zugang zu Rechtsberatung.

Flüchtlinge, die wenig Aussicht auf den Verbleib in Deutschland haben, warten hier oft viele Monate auf eine definitive Entscheidung und werden dann in ihr Herkunftsland abgeschoben. Dass die Politik der Bundesregierung auch Länder mit Bürgerkriegszuständen oder Minderheitenverfolgung zu „sicheren Ländern“ erklärt, ist ein Skandal, der für die hier untergebrachten Menschen häufig in eine Überlebenskatastrophe führt.

Erstaufnahmelager für Flüchtlinge in der Nähe von Schwerin

Bei fast stürmigem Ostwind radelte die Tour de Natur in die wunderschön gelegene Stadt Schwerin ein, und zwar so, dass auf das Schloss durch die Parkanlagen und entlang dem See zugeradelt wurde. Sodann ging es in Richtung Innenstadt, durch die die Räder mit lautem Skandieren die Toursongs „Ohne Auto mobil“ geschoben wurden. An die zahlreichen Passanten wurden die Flyer der Tour ausgeteilt. Und wenn man so diese Menschen anschaute, dann schienen die meisten doch ganz einverstanden mit dieser Aktion zu sein. An einer fahrradfreundlichen und nachhaltigen Verkehrs- und Umweltpolitik sind nicht mehr nur kleine Gruppen der Gesellschaft interessiert. Im Gegenteil: Diese politischen Ziele werden vermutlich mittlerweile von der Mehrheit geteilt.

Am Ende der Fußgängerzone mit Blick auf den Pfaffenteich fand dann die Aktion gegen die Massentierhaltung statt. Dazu konnte ein schönes Theaterstück aufgeführt werden, das in Form eines Quiz die Öffentlichkeit nach ihrem Wissen über die Eigenheiten und Umgebungsbedürfnisse von Küken und Hennen und Hähnen befragt und ansschließend die Bedingungen von Massentierhaltung zeigt. Man könnte diese Aktion eine Unterrichtsstunde in Umweltbildung nennen, die das, was wir so selbstverständlich konsumieren, in seiner industriellen Produktion zeigt. Wer mag mit diesem Wissen diese Massentierhaltung akzeptieren und deren Produkte genießen und deren Umweltschäden ertragen?

Peter trug anschließend einen eindrucksvollen Protestsong vor, an den der Vortrag eines Mitglieds der Bürgerinitiative „Hoort macht mobil“ anschloss. In diesem Dorf unweit von Schwerin soll eine „Junghennenaufzuchtanlage“ errichtet werden und zwar von dem Konsortium „Deutsche Frühstücksei“, das zahlreiche Produktionsanlagen betreibt und seit einigen Jahren bevorzugt in den neuen deutschen Bundesländern Standorte favorisiert, weil die niedersächsischen Regionen offensichtlich nicht mehr belastbar sind bzw. das Protestpotenzial dort erheblich ist.

Die Produktionsbedingungen (= Lebensbedingungen) in einem solchen fensterlosen Gebäude sind grauenvoll – aus der Sicht von Menschen, die so etwas wie Tierwohl für eine unübergehbare Bedingung unserer Ernährung halten. Auf engstem Raum werden 84.999 Küken „eingestallt“, die mit Antibiotika prophylaktisch „behandelt“ werden und die aufgrund der Enge und der schlichtweg nicht hergestellten Hygiene (der Kot wird nicht ausgeräumt, sondern verbleibt unterhalb der Sitzstangen bis zur sog. Ausstallung) eine erhebliche Sterbensrate haben. Auch die Tierkadaver (pro Jahr fallen davon 1,7 t an) werden während der Bestallungsphase nicht entsorgt, sondern bleiben im Kot liegen. Würde auch nur ein Küken mehr eingestallt, gälten strengere Anforderungen! Der Stall wird direkt entlüftet, ohne Filteranlage, was in der Umgebung deutlich zu riechen sein wird. An Arbeitsplätzen werden vom Betreiber 0,5 Vollzeitstellen geschaffen. Alle anderen Tätigkeiten werden von Fremdfirmen übernommen.

Der Vorsitzende des regionalen Bauernverbandes soll der Verkäufer des Geländes sein. Er ist als Landwirt zugleich Abnehmer des Hühnerkots. Dies erstaunt, denn der Bauernverband behauptet von sich, dass er für das Tierwohl sorge. Die behördlichen Genehmigungen erfolgen für dieses Projekt, was doch sehr erstaunt und Empörung bei den Anwohnern hervorruft. Deshalb haben sie sich in der Bürgerinitiative zusammengeschlossen, um dieses Vorhaben zu verhindern. Die Tour de Natur unterstützt ihre Forderungen!

Kundgebung gegen Massentierhaltung in Schwerin

Das Übernachtungsquartier ist eine große Turnhalle in einem Berufsschulzentrum. Auf dem Außengelände stehen viele Bäume, die schattige Zeltplätze bieten.

Übernachtungsquartier in Schwerin

Am Abend radelten ungefähr 70 Tourteilnehmer zum Hof Dorf Medewege, um in diesem interessanten Projekt ökologischen Wirtschaftens eine Flatterulme zu pflanzen. Nach einer freundlichen Begrüßung durch mehrere Mitglieder der Hofgemeinschaft wurde am Rande des kleinen Sees unter Einsatz mehrerer tüchtiger Männer (der Boden war stark ausgetrocknet und deshalb sehr hart) ein Pflanzloch ausgehoben, die schon von der Hofgemeinschaft bereitgestellte Komposterde wurde eingefüllt und die Flatterulme in diese hineingesetzt.

Flatterulmentransport

Dann sangen alle das Flatterulmenliebeslied, das Fritz verfasst und arrangiert hat, was eine sehr schöne und besinnliche Stimmung entfaltete.

Ein zweites Lied konnte angeschlossen werden, weil es noch weitere Dichter auf der Tour de Natur gibt, die kurzfristig dichten mochten:

Drei Flatterulmen san mer gewesen,
waren bei der Tour mit dabei.
Ein wurd’ gepflanzt in Lenzen,
sennen wir geblieben zwei.

 

Zwei Flatterulmen san mir gewesen,
fuhren nach Schwerin hinein.
Eine ging nach Medewege,
sennen wir geblieben ein.

 

Ein Flatterulm bin ich gewesen,
fahr weiter auf dem Lastenrad.
Wart auf ein schönes Pflanzloch,
das krieg ich hoffentlich in Barth.

 

Planzaktion für die Flatterulme in Medewege

Über das Hofprojekt Medewege gab es interessante Informationen. Der Gutshof ist nach der Besatzung durch die sowjetische Sektorenverwaltung enteignet worden. Nach Gründung der DDR sind einige Flächen an Bauern vergeben worden. Der größere Teil wurde als VEG (Volkseigenes Gut) bewirtschaftet. Nach der sog. Wende wurden die Rechtsverhältnisse geklärt. Die Stadt Schwerin wurde Besitzer und vergab die Ländereien in Erbpacht an Einzelpersonen aus der Hofgemeinschaft, die wiederum die weitere Finanzierung einer modernen Gebäude- und Betriebsausstattung über die GLS finanzierten.

Auf dem Gelände leben 60 Personen. Es gibt neben dem landwirtschaftlichen Demeter-Betrieb eine Bäckerei („Mühlenbäckerei“), eine Gemüsegärtnerei (als SoLaWi) organisiert, einen Hofladen und ein Hofcafé, einen großen Veranstaltungsraum (mit Veranstaltungen des Kulturvereins), einen Waldorfkindergarten, Ferienwohnungen und einen Reitstall. Insgesamt sind hier 100 Arbeitsplätze entstanden. Allmonatlich treffen sich alle Mitglieder zur sog. Mederunde; weitere regelmäßige Treffen bringen die Betriebsleiter zusammen und die Kulturschaffenden.

In solch einem Gemeinschaftsprojekt, das sich mit großem Engagement der nachhaltigen Landwirtschaft widmet, hat die Flatterulme der Tour de Natur sicherlich den rechten Platz gefunden. Hier werden Beispiele für die zukünftige Entwicklung unserer Gesellschaft im Kleinen erprobt.