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Donnerstag, 01.08.2024, 13. Tag: von Uslar nach Hann. Münden (43 km)
Noch ein herrlicher Sommermorgen mit gutem Frühstück auf dem leider voll versiegelten (=geteerten) Schulhof, aber eben reichlich bestückt mit Sitzbänken an Tischen. So konnte gut gelaunt gestartet werden.
Die Route führte in Längsrichtung durch den Solling, über Landstraßen mit Blick auf die Hänge, die überwiegend als – nach den Regenwochen grüne – Wiesen daliegen, auf den Höhen die Waldungen des Solling, meist Laubbäume.

Unterwegs nach Lippoldsberg Hinunter führte die Route dann in das Tal der Weser und dort in den kleinen Ort Lippoldsberg.

An der Weserfähre in Lippoldsberg Über den ökologischen Zustand der Weser informierte Dr. Jürgen Bäthe vom Fachbüro EcoRing beim Info-Stopp an der Gierseilfähre. Der Salzgehalt des Flusses sei erheblich in den letzten Jahrzehnten gesenkt worden, was durch die Analyseergebnisse seines Instituts kontinuierlich als Auftragsforschung gezeigt wird. Massive „Verschmutzung“ der Weser ist durch die im oberen Verlauf bzw. am Zufluss Werra gelegene Kali fördernde Industrie (Firma K+S) eingetreten, denn deren reduzierte Einleitung von kali- und phosphorhaltigen Abwässern in die Oberweser vergiftete die Fische und produziert (Präsens, denn hier müssten die angrenzenden Bundesländer strengere Vorgaben für die Landwirtschaft durchsetzen) ein extremes Algenwachstum, für das eben auch die Nitrat- und Phospateinträge durch den Düngereinsatz der Agrarwirtschaft ursächlich sind.

Vortrag von Dr. Jürgen Bäthe über die Ökologie der Weser Die Fauna der Weser sei beeindruckend. Die Einwanderung von salzliebenden Krebsarten ist rückläufig (warum: s.o.), das Aufwachsen von anderen Arten, deren Fressfeinde somit ausbleiben, findet wieder statt. So sind nun auch wieder viele Fischarten in der Weser angesiedelt. Die geringe Sauerstoffversorgung des Flusses wird insbesondere während der warmen Jahreszeit zu einem erheblichen Problem, da aufgrund der großen „Nährstoffeinleitung“ zu großes Algenwachstum stattfindet, was erhöhten Sauerstoffverbrauch mit sich bringt, der der Wasserfauna dann fehlt.
Ein Naturgesetz gibt zu denken: Salz lässt sich aus fließendem Wasser nicht durch Filter oder chemische Reaktionen entfernen, sondern nur durch „Verdünnung“ – oder durch energieaufwändige Siedeprozesse. Somit tragen nicht nur die Kaliindustrie zur schädlichen Salzeinleitung ein, sondern z. B. auch alle Spülmaschinennutzer, deren „Reinigungsmittel“ zu ca. 80% aus Salz bestehen, das in den Kläranlagen nicht (s.o.) entfernt werden kann. Auch unsere wassersparenden Spülmaschinen tragen somit nicht unerheblich zur Versalzung der Flüsse bei.
Die Schiffbarkeit der Weser ist ähnlich gering wie jene der von der Tour anfangs besuchten Elbe. Als Bundeswasserstraße findet Ausbaggern, Buhnenbau und Uferabmauerung statt, was die Ökologie nachteilig verändert. Ein erheblicher Mengenzufluss der Weser stammt aus der Edertalsperre, die im Sauerland mit dem einzigen Zweck erbaut worden ist, als Wasserreservoir für den Mittellandkanal zu dienen: Über die Eder wird – meist für die Flussfauna zu kühles Tiefenwasser – als Nachfüllmenge in die Fulda und von dieser in die Weser geleitet, um in Minden in den Kanal hochgepumpt zu werden.
Eine grundlegende Problemlösung illustriert das Beispiel der Lahn, die aus dem Bundesbesitz herausgekauft worden ist und nun nicht mehr als Schifffahrtstraße zugerichtet, sondern als Fluss vom Land und den anliegenden Kommunen gepflegt wird.
Zum Abschluss zeigte Jürgen Bäthe am Ufer der Weser einige Kleinlebewesen, insbesondere Süßwasserkrebse und -schwämme; letztere erbringen erstaunliche Filtrationsleistungen.

Süßwasserschwamm aus dem Uferwasser der Weser Dann hieß es, auf die Räder – und bei hochsommerlicher Hitze radelten die Touries weiter über schöne Radwege und über Nebenstraßen entlang der Weser zum Mittagshalt am Kloster Bursfelde. Hier gab es genug Schattenplätze, Salat und schmackhafte, etwas der indischen Küche zuneigende Linsensuppe und Brot mit veganen Aufstrichen.

Mittagsrast am Kloster Bursfelde Die Weiterfahrt ging das Wesertal hinauf, fast immer in Sichtweite des Weserradwegs, der mittlerweile der beliebteste Radfernweg Deutschlands ist. Bei schwülem Wetter, ein Gewitter oder Regenguss war angekündigt und traf zum Glück erst abends ein, radelten die Touries in die Altstadt von Hann. Münden und stellten direkt an der Werra ihre Räder ab. Im Innenhof des Packhauses fand dann eine Informations- und Diskussionsveranstaltung statt.
Zunächst erinnerte Kai daran, dass im Jahr 2018 hier in dieser Stadt das erste Freie Lastenrad des Landkreises Göttingen im Beisein von Jürgen Trittin, dem Bundestagsabgeordneten der Grünen/Bündnis 90, an die Arbeitsgruppe „Leila“ des ADFC Göttingen übergeben worden ist – während des damaligen Besuchs der Tour de Natur. Auf dem Tacho dieses Rades, das Kai auf die diesjährige Tour mitgenommen und mit Carla-Cargo zu noch mehr Transportkapazität erweitert hat, stehen heute mehrere Zehntausend Kilometer. Es funktioniert immer noch prima und leistet seine Dienste im Landkreis Göttingen.

Leila: Freies Lastenrad vom Landkreis Göttingen unterwegs auf der Tour de Natur Herr Tobias Dannenberg, der Bürgermeister von Hann. Münden, begrüßte im Innenhof des Packhofs die Tour de Natur. Nachfolgend konnten die Touries Fragen an die hier anwesenden Fachpersonen richten.
Nicole Prediger, Leiterin des Bereichs Stadtentwicklung, erläuterte das Konzept der „Schwammstadt“, von dem die Tour de Natur bereits in Hannover einiges erfahren hatte. Die Stadt Hann. Münden bietet z. B. Beratungsangebote für Personen, die Privatgärten klimafreundlich gestalten möchten. Noch wird nicht auf die Besitzer jener Gärten mit Sanktionen eingewirkt, die z. B. größere Steinflächen statt Beetflächen vorhalten (sog. Schottergärten).

Diskussion mit (von links) Adalbert Leuner (Radverkehrsbeauftragter), Nicole Prediger (Leiterin des Bereichs Stadtentwicklung), Sabine Momm (Bürgergenossenschaft Mündener Altstadt) und Tabea (Tour de Natur) Vor ca. fünf Jahren ist eine Klimafolgenanalyse für die Stadt vorgenommen worden. Bezogen auf diesen Rahmen hat fortan jedes Bauvorhaben nachzuweisen, dass die darin aufgelisteten Anforderungen erfüllt werden. So muss z. B. das Ausmaß der Versiegelung bei Neu- bzw. der Entsiegelung bei Umbau von Altsubstanz ausgewiesen werden. Es gibt ein Projekt zur Wasserversickerung an den Hangflächen oberhalb der Stadt, um insbesondere bei Starkregen den raschen Wassereintrag in Werra und Fulda zu verhindern. Die Hochwassergefährdung der Stadt ist augenfällig: Hier treffen Fulda und Werra zusammen, die die Altstadt umfließen. Hochwasserstandsmarken am Packhaus, das direkt an die Werra angrenzt, wirken beunruhigend.
Adalbert Leuner blickte kritisch auf die tradierte Radverkehrssituation der Stadt. In den kommenden Jahren soll dieser Verkehrsbereich deutlich aufgewertet und ausgebaut werden. Immerhin ist die Stelle des Radverkehrsbeauftragten der Stadt geschaffen worden, die er mit großem Engagement übernommen hat.
Interessant ist das Projekt Fachwerk5Eck, das von fünf Städten (Hann. Münden, Einbeck, Duderstadt, Einbeck, Osterode) zur Rettung von Fachwerkgebäuden gegründet worden ist. Immerhin ist die Sanierung dieser Bausubstanz wesentlich umweltfreundlicher als der Abriss und Neubau. Zudem wird das Bild einer historischen Innenstadt damit erhalten und unschöne Eindrücke verfallender Bauobjekte werden vermieden.
Frau Sabine Momm ist Mitglied der „Bürgergenossenschaft Mündener Altstadt e.V.“, die seit elf Jahren besteht. Sabine Momm führte die Touries zu dem nahegelegenen ersten Sanierungsprojekt, das heute als historisch angemessen restauriertes und zugleich modernes Veranstaltungs- und Wohnhaus genutzt wird. Mittlerweile hat die Genossenschaft vier weitere Häuser bzw. Hausruinen gekauft und deren Sanierung begonnen und teilweise schon fertiggestellt. Übrigens: Für die Grundsanierung des ersten Gebäudes hatten sich damals 190 engagierte Menschen mit mehr oder minder großen handwerklichen Fähigkeiten zusammen gefunden und das Objekt in nur neun Tagen grundsaniert (nach neun Monaten wurde „alles“ fertig). Diese Menschen waren eingebunden in einen grandiosen Arbeitsplan eines hier sich einbringenden Architekten, der alle Gewerke und die Aktivisten so einband, dass sie sich dabei nicht „auf die Füße traten“, und das in einem engen, 3-geschossigen Fachwerkgebäude!

Sabine Momm informiert und zeigt das Projekt Speckstr. 7 Zum Abend hin radelte die Tour zum Quartier, dem Grotefend Gymnasium, wo sie sich auf dem Außengelände mit Zelten und in der riesigen Turnhalle mit Liegematten ausbreiten konnte.

Belegungskomfort XXL: die Dreifachturnhalle des Grotefend Gymnasiums als Nachtquartier Um 20 Uhr begann eine sehr interessante Abendveranstaltung, der Vortrag von Dr. Jochen Eckart (Professor für Verkehrsökologie an der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft) zum Thema „Sicherer Radverkehr“. Die vorgestellten empirischen Ergebnisse der Radverkehrsforschung waren zum Teil verblüffend. So sind die Unfallszahlen zwischen den verschiedenen Führungsformen des Radverkehrs (insbesondere Radweg, Schutzstreifen, Mischverkehr) fast gleich, obgleich hier die subjektive Sicherheitsempfindung erhebliche Unterschiede macht. Und obendrein: An Knotenpunkten sind fahrbahngeführte Radwege deutlich sicherer als die Alternativen.
Jochen Eckart hob hervor, dass es ein („das“) Regelwerk für die Gestaltung der Radinfrastruktur gibt, die ERA („Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“, herausgegeben von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen in Köln, kostenpflichtig). Die ERA gilt für die Radverkehrsplanung und – so die Einschätzung des Referenten – ist durchaus hilfreich. Die Straßenverkehrsbehörde hingegen arbeitet auf der Grundlage der StVO (Straßenverkehrsordnung), die von den meisten Fachpersonen als nicht mehr zeitgemäß und eher radverkehrsungünstig eingeschätzt werde.
Es gab zahlreiche, mehr oder minder auf die Vortragsthematik bezogene Fragen aus dem großen Kreis zu Zuhörer, was auch zeigt, dass die Touries mit der Thematik viele persönliche Erfahrungen verbinden. Jochen Eckart gelang es immer wieder, den schwierigen Balanceakt zu vollführen: alle Frager zu Wort kommen zu lassen und auf deren Anliegen zu reagieren und dennoch den Fachvortrag fortzusetzen.
Als Empfehlung wies er auf das Projekt Unfallatlas hin, das interessante empirische Daten der statistischen Landesämter und des statistischen Bundesamtes gut aufbereitet liefert.
Ein heikles Thema ist die zunehmende Nutzung von Pedelecs; diese Nutzergruppe ist mit steigender Frequenz an tödlichen Verkehrsunfällen beteiligt. Was kaum bekannt ist: Wählt man die Anzahl der Verkehrstoten bezogen auf die Kilometerleistung als Variable, so ist das Radfahren ungefähr so sicher wie PKW-Fahren oder Zufußgehen. Extrem unsicher ist hingegen das Motorradfahren und extrem sicher ist der ÖPNV.
Text: KH3; Fotos: Simone, KH3
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Mittwoch, 31.07.2024, 12. Tag: von Heckenbeck nach Uslar (53 km)
Laue Sommernacht in Heckenbeck, Frühstück bei warmer Sonne im Hof der Freien Schule – so konnte es bei bester Stimmung losgehen, auf die allerdings durchaus hügelige Strecke durch das Weserbergland hinein und hinauf in den Solling – und das bei hochsommerlichen 30 Grad. Etwas Kühlung für Radler bringt dabei der sanfte Fahrtwind, aber bei Pausen nur der Schatten, für die Touries, die Räder aus Platzgründen in die Sonne. Den heutigen Tourhut hat wiederum Regine auf.

Morgenkreis vor der Abfahrt in Heckenbeck: Verabschiedung der heute abreisenden Tourmitglieder: „Möge die Straße uns zusammenführen und der Wind in deinem Rücken sein …“ . Im Dorf Greene gab es eine Pause – am Unverpackt Laden, der sein Angebot auch auf Tischen vor dem Ladenlokal ausgebreitet hatte. Hier kauften etliche Touries ein, gern Nüsse und Trockenfrüchte oder frisch geerntete Aprikosen, noch lieber das Bio-Eis.
Unser ökologisches Problem mit den viel zu vielen Plastik-Verpackungen ist riesig und belastet nicht nur die Müllentsorgung, deren Mülltrennung (gelber Sack) zu 40 % nicht in das Recycling führt, sondern in die Müllverbrennung und – gern dort genommen – als Brennstoff für die Zementfabrikation. Plastikteilchen gelangen auch in die Weltmeere und verursachen dort eine Verseuchung der Tiere. Das brachte die Tour de Natur 2019 in einem eindrucksvollen Theaterstück den Gästen des Strandbads Warnemünde zur Kenntnis: „Früher war der Fisch in der Verpackung, heute ist die Verpackung im Fisch.“
Vor dem Unverpacktladen Kornkiste in Greene In Einbeck radelte eine Teilgruppe der Tour durch die Fußgängerzone und verteilte dort ihre Flyer an die Passanten. Auf dem Platz hinter dem Rathaus versammelten sich dann alle Touries. Dort informierte Valentin von der „Verkehrswende Einbeck“ über die Verkehrsplanung der Stadt. Die Stadtverwaltung kann auf das in Auftrag gegebene Nahmobilitätskonzept des Ingenieurbüros Schubert aus Hannover zurückgreifen, das eine Ausweitung der Radverkehrsflächen vorsieht. Allerdings werden darin auch wenig sinnvolle Vorschläge gemacht wie z. B die Umwidmung von Fußverkehrsflächen im Zentrum der Altstadt für Radwege. Eine gewisse Kfz-Lastigkeit des Konzepts sei auch gegeben. Wie auch schon in Hildesheim erfahren, stößt die Umsetzung auf partikularen Widerstand. Zudem sei die ÖPNV-Erschließung des weitläufigen Stadtgebietes eher dürftig.

Valentin von der „Verkehrswende Einbeck“ informiert über die Radverkehrsplanung in Einbeck Die Ilmebahn ist 2018 wieder reaktiviert worden, die Einbeck über Salzderhelden mit Göttingen verbindet. Hier wird einstündiger Takt angeboten.

Schwerlastenrad der Tour de Natur Eine lange Mittagspause am Waldbadsee in Lauenberg war sehr willkommen, nicht nur wegen der dort von Fläming-Kitchen angebotenen Mahlzeit, sondern auch wegen der bei sommerlicher Hitze möglichen Abkühlung im Naturfreibad.
Hoch mussten die Touries hinauf (ca. 250 Hm), um an das Forsthaus Grimmerfeld im Solling zu gelangen. Dort empfing Förster Peter Martensen die Tour. Der Solling ist ein Gebirgszug, der westlich von Göttingen gelegen ist. Neuhaus ist das 500 m hoch gelegene Zentrum dieses waldreichen Mittelgebirges. Die sog. potenzielle Vegetation (d. h. der letzte Vegetationszustand vor Eingriff größerer menschlicher Nutzung) des Solling wäre ein geschlossener Buchenwald.
Vortrag von Förster Peter Martensen am Forsthaus Grimmerfeld Glassande sind im Solling verfügbar, so dass kleine Glashütten und Glasmanufakturen entstanden, deren Holzkohlebedarf immens war. Zudem wurden die Wälder beweidet, was den Aufwuchs von Jungbäumen erheblich reduzierte. Insbesondere Rinder fraßen die jungen Austriebe und reduzierten den Aufwuchs auch und gerade von Buchen.
Aufforstungsprogramme, die nach der Einschränkung bzw. des Verbots von Waldweide einsetzten, brachten schwerpunkthaft schnellwachsende Fichtenbestände. Heute sind 60 % der Fläche mit Eichen (als frühe Aufforstung und heutige Nachforstung) und Buchen bestanden. Ein Großteil davon wird als FFH-Gebiete (Flora-Fauna-Habitat, Naturschutzrichtlinie der EU) ausgewiesen. Zudem sind mehrere Naturschutzgebiete (NSG) eingerichtet worden. Reine Fichtenaufwuchsflächen soll es künftig nicht mehr geben; Mischbestände werden intendiert. Gleichwohl ist schon jetzt, nach den letzten heißen Sommern und geringen Niederschlagsmengen, klar, dass auch die Buchen leiden. Ungefähr 10% der Waldfläche werden unbewirtschaftet gelassen. Hier findet das interessante Experiment statt: Wie regelt sich die „Natur“ selbst, welche Sukzession findet statt?
Im Solling gibt es etliche Hochmoore, die tw. entwässert und auch abgebaut worden sind. Deren CO2-Bilanz ist fatal. Deshalb sind Wiedervernässungsprogramme begonnen worden. Über deren durchaus heikle kurz- und mittelfristig günstigere Bilanz konnte sich die Tour de Natur 2019 in Bad Sülze informieren: Zunächst verfaulen die überwässerten Grünpflanzen und produzieren dabei Methan, das ca. 10x klimaschädlicher ist als CO2, späterhin dominiert die Reduzierung des letzteren.
Eine weitergehende touristische Nutzung des Solling wird intendiert und z. B. in der Region von Neuhaus mit dem zertifizierten Wanderwegeprogramm „Wilde Heimat“ gefördert. Bislang könne man den Solling vielleicht eher als „Geheimtip“ bezeichnen.
Weiter ging es durch den Solling, den waldreichen Tälern folgend bis nach Uslar. In dieser Kleinstadt begrüßte der Bürgermeister Torsten Bauer die Tour de Natur. Er bedankte sich für den Besuch der Tour in seiner Stadt und lobte deren Einsatz für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung.
Begrüßung der Tour de Natur durch den Bürgermeister von Uslar Anschließend erläuterte Jörg Grabowsky von den Ortsräten Schoningen, Ahlbershausen und Verliehausen, dass die Verknüpfung der Radwegsverbindung von Göttingen quer durch den Solling über Uslar zur Weser, die schon seit zwanzig Jahren geplant werde, nun endlich in die Realisierungsphase übergehe.
Timmi fragte kritisch an, warum vor Uslar eine aufwändige Verbreiterung der B241 durchgeführt werde, wohingegen z. B. die Uslar mit Northeim und Altenbeken verbindende Bahntrasse nur eingleisig sei.
Gemeinsame Textarbeit über den Erfrischungsangeboten des Bürgermeisters Noch immer ohne den angekündigten Regen, allenfalls von ein paar Tropfen berührt, radelte die Tour zum Nachtquartier. Eine freundliche Mitarbeiterin des Bürgermeisters hat die Tour de Natur in der Turnhalle der Grundschule einquartiert, die – so die nachfolgende Inansichtnahme der Touries – ein prima, weil großes und im Vergleich zu Heckenbeck reichlich mit Duschen und Toiletten ausgestattetes Quartier bietet. Anders formuliert: eine intermittierende Reduzierung der Körperpflege auf das unbedingt Notwendige lässt sich so leichter in die Biographie einfügen. Und als weiteres Highlight: Viele Sitzbänke mit Tischen auf dem Schulhof sorgten für bequem einzunehmende Mahlzeiten.

Abendessen in Uslars Grundschule – mit dem Komfort von Sitzbänken und Tischen Nach dem wieder leckeren Abendessen aus Wam’s Küche fand dann der Offene Abend statt. Auch in diesem Jahr gab es wieder eine bunte Mischung von Akrobatik, musikalischen Darbietungen, einer kuriosen Neubearbeitung des Grimm’schen Aschenputtel-Märchens, humorvollen und ernsten Texten und sogar einen bewegungskünstlerischen Beitrag eines vierbeinigen Tourmitglieds. Jakob und OIiver führten durch das Programm, das viel Beifall fand.

Unter sachkundiger pädagogischer Anleitung führt das vierbeinige Tourmitglied Kira artistische Kunststücke vor. Zum Abschluss gab es Musik zum Gruppentanz, in Fortsetzung des Abends im Trillkegut Hildesheim. So klang ein schöner Sommerabend aus.
Text: KH3; Fotos von KH2, Simone und KH3
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Dienstag, 30.07.2024, 11. Tag: von Hildesheim nach Bad Gandersheim (52 km)
Bei bestem und am Morgen fast schon heißem Sommerwetter startete die Tour de Natur mit 130 Radler:innen am Quartier der Waldorfschule Hildesheim. Regine hat den „Hut“ der Tourleitung übernommen.
Die Route führte zunächst durch die Altstadt und bot nochmals einen Eindruck von den verkehrsplanerischen Problemen, die eine einstmalige Fachwerkstadt mit engen Gassen aufkommen lässt, wenn der KfZ-Verkehr (und ein wenig Radverkehr) nach 1945, der weitgehenden Zerstörung der Stadt, beim raschen Wiederaufbau durch solch ein Wegenetz hindurchgeführt wird. Das resultierte auch in Hildesheim in einer massiven Verdrängung des Radverkehrs z. B. von der zentralen Durchgangsstraße, der Schuhstraße, die nun von den Touries – wiederum unter Polizeieskorte – fast gänzlich genutzt werden konnte. Geht doch, könnte man sagen … .
In der kommunalen Politik ist eine solche umweltfreundliche Umwidmung jedoch mit fortwährenden Konflikten verbunden, die mit den bekannten und durchaus empirisch widerlegbaren Argumenten von einigen Protagonisten unter Führung der CDU-Ratsfraktion aufrecht erhalten werden: unzumutbarer Verlust von PKW-Parkflächen und umsatzschädliche Reduzierung der PKW-Zugänglichkeit der Innenstadt.
Dass Hildesheim auch eine Universitätsstadt ist, lasen die Touries auf den Hinweisschildern im Ortsteil Marienburg; dort befindet sich der Hauptcampus der Universität Hildesheim sowie angrenzend die Fachhochschule (HAWK: Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst), die zusammengenommen 10.000 Studierende haben.
Eine Pause legte die Tour auf dem sog. Kulturcampus der Universität ein, der am südlichen Ortsrand auf der Domäne Marienburg eingerichtet worden ist. In dem spätmittelalterlichen Ambiente einer Trutzburg, die nach dem Reichsdeputationshauptschluss in eine Staatsdomäne mit verpachteter Landwirtschaft umgewandelt und durch fachwerkliche Zweckbauten erweitert worden war, sind die Studiengänge des Fachbereichs Kulturwissenschaften und Ästhetische Kommunikation untergebracht, insbesondere der Studiengang Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus sowie das Institut für Medien, Theater und Populäre Kultur (mit eigener Probebühne), das Institut für Bildende Kunst (untergebracht mit Werkstätten in der eindrucksvoll restaurierten Scheune) sowie das Institut für Musik (mit Proberäumen).

Die Tour de Natur pausiert auf dem Areal der Domäne Marienburg, dem Kulturcampus der Universität Hildesheim Nach diesem auch für den Toilettengang nutzbaren Pause radelte die Tour weiter und querte das Tal der Innerste, die aus dem Harz kommend, dort in einem Stausee zur Trinkwassergewinnung und Hochwasserregulierung geleitet, durch ihr Tal fließt, umgeben von den Erhebungen des Vorderharzes. Eine Tourteilnehmerin erinnerte daran, dass dieser Fluss in den letzten zwanzig Jahren bereits zweimal durch extreme Hochwasser für Überschwemmungen verursacht hat, die nicht nur die schönen historischen Gebäude der Domäne Marienburg unter Wasser setzten und massiv beschädigten, sondern auch in den kleinen Dörfern des oberen Flusslaufs für große Schäden sorgten. Erweiterte Deichbauten sind daraufhin geplant und zu einem beträchtlichen Teil errichtet worden, aber die zudem notwendigen Überflutungsflächen stehen nicht (mehr) zur Verfügung. Die Folgen des Klimawandels sind – auch – im Innerstetal nicht mehr zu übersehen. Und im weiteren Umfeld: Die Folgen eines zu hohen Wasserstands in der Innerste auf den Wasserstand der Leine (in diese mündet die Innerste bei Sarstedt, südlich vor Hannover) sind fatal.
Weiter ging es aus dem Tal der Innerste hinauf in das Lammetal, das von gleichnamigem Bach, allenfalls ein Flüsschen, durchflossen wird. Dessen Hochwasser sorgte für massive Schäden in der Altstadt von Bad Salzdetfurth, dem hübschen Fachwerkstädtchen, das die Tour de Natur zu einem Zwischenstopp in den Salinenbereich des Kurparks eingeladen hatte. Bürgermeister Andreas Humbert begrüßte die Touries. Er schilderte, dass die Stadt mit fünf Bahnstationen die sog. Lammetalbahn nutzt, die in der 2000-er Jahren reaktiviert worden ist und von Bodenburg nach Hildesheim führt. Zudem hat die Stadt ein zusätzliches Busangebot eingeführt, den Salze-Bus, der in dem langestreckten Ort die Ortsteile verbindet.

Bürgermeister Björn Grischka begrüßt die Tour de Natur in Bad Salzdetfurth Björn Grischka, der Kurdirektor des Ortes, machte auf die beiden in Betrieb gehaltenen Salinen aufmerksam, die im oberen Teil des weitläufigen Kurparks betrieben werden. Im vergangenen Jahr ist ein Salzmuseum eingerichtet worden, das die Geschichte des – aufgegebenen – Kalibergbaus illustriert.
Sehr beliebt bei einer besonderen Teilpopulation der Fahrradfahrer ist der am Ortsrand eingerichtete Bike-Park. Hier suchen Mountain-Biker ihre Herausforderungen bzw. hier finden bundesweite Wettbewerbe für die immerhin Olympische Disziplin des Cross Country statt.
Gegen 13 Uhr traf die Tour de Natur in dem kleinen Städtchen Lamspringe ein und konnte dort die von Fläming Kitchen vorbereitete Mittagsmahlzeit einnehmen – unter schattenspendenden Bäumen im Hof des ehemaligen Klosters, das nun die Stadtverwaltung beherbergt.

Mittagspause der Tour de Natur auf dem Klosterareal in Lamspringe Andreas Humberg, der Bürgermeister von Lamspringe, begrüßte die Tour de Natur, für deren zentrale Anliegen er in seiner Stadt einiges vorweisen kann. Lamspringe ist eine „Global nachhaltige Kommune“, die ein anspruchsvolles Konzept zur Nachhaltigkeit in vielen Bereichen des städtischen Lebens und der Stadtverwaltung ausgearbeitet hat. Zudem ist die Stadt als „Fair Trade Kommune“ zertifiziert. Und schließlich hat die Stadt das Zertifikat „Kinderfreundliche Kommune“ erhalten.
In der Verkehrspolitik musste der Bürgermeister zunächst einräumen, dass die ÖPNV-Anbindung von Lamspringe in die Region eher dürftig sei. Als lokale Maßnahme hat die Stadt allerdings ein Car-Sharing- und ein auf ehrenamtlicher Basis betriebenes Bürgerbus-Angebot eingerichtet.
Ingmar Heinz führte die daran interessierten Touries durch die ehemalige Klosterkirche (Bau aus dem 17. Jh.), deren Kirchenschiff unerwartet hoch und groß ist und einige kunsthistorische Schätze zu bieten hat. Die Klosterkammer verwaltet – ebenso wie die zuvor besuchte Domäne Marienburg – die Ländereien und die Baulichkeiten des einstmaligen, 1803 aufgehobenen Klosters bzw. des Klostergutes.
Um 15 Uhr wurde weiter geradelt, nach Bad Gandersheim. Eine Teilgruppe löste sich aus der Fahrraddemo und radelte den dorthin führenden „Skulpturenradweg“, der eine prima Asphaltdecke aufweist und nur geringe Steigungen: eine zum Radweg umgebaute Nebenbahntrasse.
In Gandersheim sammelte sich die Gesamtgruppe wieder, in direkter Nachbarschaft zum dortigen romanischen Dom, dessen Vorplatz wie schon seit etlichen Jahren für die hochsommerliche Aufführung der sog. Domfestspiele genutzt wird.
Eine erstaunlich breite und kaum frequentierte Straße führt von Gandersheim hinauf zum Dorf Heckenbeck, dem Etappenziel der heutigen Tour. Dieses kleine Dorf (500 Einwohner) ist einzigartig, in vielerlei Hinsicht. Im Gegensatz zu allen Dörfern der Region gibt es hier keinen Bevölkerungsrückgang, sondern eine kontinuierlich wachsende Zahl von Dorfbewohnern. Das liegt daran, dass Heckenbeck einiges zu bieten hat: die Freie Schule und den Kindergarten Pusteblume (Träger: Verein „Aktives Leben und Lernen e. V.“), das Kulturzentrum Weltbühne, einen Bioladen, eine Solawi (Solidarische Landwirtschaft), einen Meditationspavillon (Träger: Verein „Klang der Stille“) und ein Dorfgemeinschaftshaus sowie ein Dorfareal mit ökologisch erbauten Häusern, oftmals mit Strohballendämmung errichtet. Eine nicht nur von den Neu-Heckenbeckern sehr geschätzte ärztliche Gemeinschaftspraxis gibt es zudem im Dorf. Hierher sind in den letzten zwanzig Jahren etliche junge Familien gezogen und weitere kommen hinzu.
Am Dorfplatz empfing Ricarda Polzin die Touries. Sie war bestens vorbereitet, ein Gruppe von ungefähr 100 etwas müden, leicht sonnenverbrannten Touries auf drei Übernachtungsquartiere und zwei Zeltareale aufzuteilen. Und sie organisierte die zeitgleiche Dorfführung für mehrere Interessengruppen mit folgenden Schwerpunkten: allgemeine Dorfführung; Freie Schule; Solidarische Landwirtschaft; Meditationshaus; Kulturzentrum Weltbühne; Strohballenhausbau.
Auf der allgemeinen Dorfführung wurde das Nebeneinander, jedoch auch das Miteinander der beiden sozialen Gruppen im Dorf beschrieben. In den verschiedenen Vereinen (Schützenverein, Bürgerverein, Schulverein u.a.) arbeiten die Menschen zusammen und versuchen, für das Dorf passende Entscheidungen zu treffen. In einigen Vereinen haben dort die Eingesessenen die Mehrheit, in anderen die Neu-Heckenbecker. Einige Vorhaben sind allerdings unmittelbar auf die Mitwirkung von alteingesessenen Dorfbewohnern angewiesen, so z. B. die SoLaWi, die Ackerflächen für den Gemüsenanbau benötigt. Auch für Neubauvorhaben ist ausgewiesenes Bauland gefragt, das baurechtlich vorhanden ist, aber privatrechtlich nicht durchweg angeboten wird. Ein Grund dafür ist, dass Baugrund von alteingessenen Familien für ihre Kinder zurückgehalten wird, wenn diese im Dorf bleiben oder dorthin zurückkehren möchten.
Es gibt kein Gremium, in dem alle (zentralen) Belange der Dorfgemeinschaft miteinander verhandelt werden können. Ein Ortsrat ist in kleinen Dörfern nicht vorgesehen. Allerdings sind die Wahlämter des Ortsvorstehers und dessen Stellvertreters besetzt. Letztere Funktion ist an eine Neu-Heckenbecker:in vergeben. Ein informelles Miteinander und Sich-Abstimmen findet auf den sog. Klönabenden statt. Sehr gut genutzt wird der dorfbezogene E-Mail-Verteiler, über den vieles kommuniziert wird.
Gleichwohl stellt sich auch für das Dorfprojekt Heckenbeck die grundlegende Frage, wann eine Dorfgemeinschaft zu „groß“ werden könnte. Sind es vielleicht 300 Dörfler, die sich noch alle untereinander kennen können? Dann wäre Heckenbeck schon zu groß gewachsen. Aber es könnte ja in anderen Dörfern der Umgebung ähnliches versucht werden … .
Interessant auch das Konzept und die Praxis der Freien Schule Heckenbeck, die es seit knapp 25 Jahren als anerkannte Ersatzschule in privater Trägerschaft gibt. Das Kollegiumsmitglied Katja gab eine Führung durch die Schule. Der Schulverein ist Träger, ihm gehören die Räumlichkeiten, die einst als Bauernhaus mit Viehaltung genutzt wurden. Das alles ist um- und ausgebaut werden und bietet 125 Schüler:innen (genannt: Schülis) ein Haus zum „selbstbestimmenten Lernen“. Zehn Altersjahrgänge besuchen die Schule und verbringen ihre Schultage in interessenbasiert gewählten Kleingruppen. Die 13 festangestellten Lehrpersonen und die mehr als 20 zusätzlich tätigen Personen bieten den Schülis auch Gelegenheiten zum Erlernen des Lesens, Schreibens und Rechnens sowie zum Erwerb von jenen Fähigkeiten, die im Curriculum der Staatsschule auf diverse Unterrichtsfächer verteilt sind.
Die Absolventen der Schule seien, so die Einschätzung der Lehrpersonen und Eltern, fast durchweg sehr selbstbestimmte, engagierte junge Menschen, die in weiteren Bildungsgängen (z. B. gymnasiale Oberstufe oder Berufsbildung) erfolgreich abschneiden.
Das Abendessen wurde auf dem Areal der Freien Schule eingenommen. Am Abend trat dort der bekannte Protestsänger Sascha Salossi auf, der schon die Tagesetappe mitgeradelt war, auf einem Lastenrad sein Musikequipment mitführend. Sascha ist auf der Tour de Natur schon mehrfach aufgetreten, so z. B. im Jahr 2019 auf einem Abend in der Freien und Waldorfschule Hitzacker. Die Touries waren wieder begeistert. Und zum Abschluss sangen die „jungen Touries“ als Chor und begleitet von Gitarre, Geige und Percussion das Lied der „Tour de Natur“. Das war ergreifend, ganz besonders für die älteren Touries und die Urgesteine: Mit dieser Generation kann „es“ weiter gehen!

Konzert mit Sascha Salossi auf dem Hof der Freien Schule Heckenbeck Text: KH3; Fotos: KH3 und KH2
