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  • Dienstag, 30.07.2024, 11. Tag der Tour de Natur: von Hildesheim nach Bad Gandersheim (52 km)

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    Bei bestem und am Morgen fast schon heißem Sommerwetter startete die Tour de Natur mit 130 Radler:innen am Quartier der Waldorfschule Hildesheim. Regine hat den „Hut“ der Tourleitung übernommen.

    Die Route führte zunächst durch die Altstadt und bot nochmals einen Eindruck von den verkehrsplanerischen Problemen, die eine einstmalige Fachwerkstadt mit engen Gassen aufkommen lässt, wenn der KfZ-Verkehr (und ein wenig Radverkehr) nach 1945, der weitgehenden Zerstörung der Stadt, beim raschen Wiederaufbau durch solch ein Wegenetz hindurchgeführt wird. Das resultierte auch in Hildesheim in einer massiven Verdrängung des Radverkehrs z. B. von der zentralen Durchgangsstraße, der Schuhstraße, die nun von den Touries – wiederum unter Polizeieskorte – fast gänzlich genutzt werden konnte. Geht doch, könnte man sagen … .

    In der kommunalen Politik ist eine solche umweltfreundliche Umwidmung jedoch mit fortwährenden Konflikten verbunden, die mit den bekannten und durchaus empirisch widerlegbaren Argumenten von einigen Protagonisten unter Führung der CDU-Ratsfraktion aufrecht erhalten werden: unzumutbarer Verlust von PKW-Parkflächen und umsatzschädliche Reduzierung der PKW-Zugänglichkeit der Innenstadt.

    Dass Hildesheim auch eine Universitätsstadt ist, lasen die Touries auf den Hinweisschildern im Ortsteil Marienburg; dort befindet sich der Hauptcampus der Universität Hildesheim sowie angrenzend die Fachhochschule (HAWK: Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst), die zusammengenommen 10.000 Studierende haben.

    Eine Pause legte die Tour auf dem sog. Kulturcampus der Universität ein, der am südlichen Ortsrand auf der Domäne Marienburg eingerichtet worden ist. In dem spätmittelalterlichen Ambiente einer Trutzburg, die nach dem Reichsdeputationshauptschluss in eine Staatsdomäne mit verpachteter Landwirtschaft umgewandelt und durch fachwerkliche Zweckbauten erweitert worden war, sind die Studiengänge des Fachbereichs Kulturwissenschaften und Ästhetische Kommunikation untergebracht, insbesondere der Studiengang Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus sowie das Institut für Medien, Theater und Populäre Kultur (mit eigener Probebühne), das Institut für Bildende Kunst (untergebracht mit Werkstätten in der eindrucksvoll restaurierten Scheune) sowie das Institut für Musik (mit Proberäumen).

    Die Tour de Natur pausiert auf dem Areal der Domäne Marienburg, dem Kulturcampus der Universität Hildesheim

    Nach diesem auch für den Toilettengang nutzbaren Pause radelte die Tour weiter und querte das Tal der Innerste, die aus dem Harz kommend, dort in einem Stausee zur Trinkwassergewinnung und Hochwasserregulierung geleitet, durch ihr Tal fließt, umgeben von den Erhebungen des Vorderharzes. Eine Tourteilnehmerin erinnerte daran, dass dieser Fluss in den letzten zwanzig Jahren bereits zweimal durch extreme Hochwasser für Überschwemmungen verursacht hat, die nicht nur die schönen historischen Gebäude der Domäne Marienburg unter Wasser setzten und massiv beschädigten, sondern auch in den kleinen Dörfern des oberen Flusslaufs für große Schäden sorgten. Erweiterte Deichbauten sind daraufhin geplant und zu einem beträchtlichen Teil errichtet worden, aber die zudem notwendigen Überflutungsflächen stehen nicht (mehr) zur Verfügung. Die Folgen des Klimawandels sind – auch – im Innerstetal nicht mehr zu übersehen. Und im weiteren Umfeld: Die Folgen eines zu hohen Wasserstands in der Innerste auf den Wasserstand der Leine (in diese mündet die Innerste bei Sarstedt, südlich vor Hannover) sind fatal.

    Weiter ging es aus dem Tal der Innerste hinauf in das Lammetal, das von gleichnamigem Bach, allenfalls ein Flüsschen, durchflossen wird. Dessen Hochwasser sorgte für massive Schäden in der Altstadt von Bad Salzdetfurth, dem hübschen Fachwerkstädtchen, das die Tour de Natur zu einem Zwischenstopp in den Salinenbereich des Kurparks eingeladen hatte. Bürgermeister Andreas Humbert begrüßte die Touries. Er schilderte, dass die Stadt mit fünf Bahnstationen die sog. Lammetalbahn nutzt, die in der 2000-er Jahren reaktiviert worden ist und von Bodenburg nach Hildesheim führt. Zudem hat die Stadt ein zusätzliches Busangebot eingeführt, den Salze-Bus, der in dem langestreckten Ort die Ortsteile verbindet.

    Bürgermeister Björn Grischka begrüßt die Tour de Natur in Bad Salzdetfurth

    Björn Grischka, der Kurdirektor des Ortes, machte auf die beiden in Betrieb gehaltenen Salinen aufmerksam, die im oberen Teil des weitläufigen Kurparks betrieben werden. Im vergangenen Jahr ist ein Salzmuseum eingerichtet worden, das die Geschichte des – aufgegebenen – Kalibergbaus illustriert.

    Sehr beliebt bei einer besonderen Teilpopulation der Fahrradfahrer ist der am Ortsrand eingerichtete Bike-Park. Hier suchen Mountain-Biker ihre Herausforderungen bzw. hier finden bundesweite Wettbewerbe für die immerhin Olympische Disziplin des Cross Country statt.

    Gegen 13 Uhr traf die Tour de Natur in dem kleinen Städtchen Lamspringe ein und konnte dort die von Fläming Kitchen vorbereitete Mittagsmahlzeit einnehmen – unter schattenspendenden Bäumen  im Hof des ehemaligen Klosters, das nun die Stadtverwaltung beherbergt.

    Mittagspause der Tour de Natur auf dem Klosterareal in Lamspringe

    Andreas Humberg, der Bürgermeister von Lamspringe, begrüßte die Tour de Natur, für deren zentrale Anliegen er in seiner Stadt einiges vorweisen kann. Lamspringe ist eine „Global nachhaltige Kommune“, die ein anspruchsvolles Konzept zur Nachhaltigkeit in vielen Bereichen des städtischen Lebens und der Stadtverwaltung ausgearbeitet hat. Zudem ist die Stadt als „Fair Trade Kommune“ zertifiziert. Und schließlich hat die Stadt das Zertifikat „Kinderfreundliche Kommune“ erhalten.

    In der Verkehrspolitik musste der Bürgermeister zunächst einräumen, dass die ÖPNV-Anbindung von Lamspringe in die Region eher dürftig sei. Als lokale Maßnahme hat die Stadt allerdings ein Car-Sharing- und ein auf ehrenamtlicher Basis betriebenes Bürgerbus-Angebot eingerichtet.

    Ingmar Heinz führte die daran interessierten Touries durch die ehemalige Klosterkirche (Bau aus dem 17. Jh.), deren Kirchenschiff unerwartet hoch und groß ist und einige kunsthistorische Schätze zu bieten hat. Die Klosterkammer verwaltet – ebenso wie die zuvor besuchte Domäne Marienburg – die Ländereien und die Baulichkeiten des einstmaligen, 1803 aufgehobenen Klosters bzw. des Klostergutes.

    Um 15 Uhr wurde weiter geradelt, nach Bad Gandersheim. Eine Teilgruppe löste sich aus der Fahrraddemo und radelte den dorthin führenden „Skulpturenradweg“, der eine prima Asphaltdecke aufweist und nur geringe Steigungen: eine zum Radweg umgebaute Nebenbahntrasse.

    In Gandersheim sammelte sich die Gesamtgruppe wieder, in direkter Nachbarschaft zum dortigen romanischen Dom, dessen Vorplatz wie schon seit etlichen Jahren für die hochsommerliche Aufführung der sog. Domfestspiele genutzt wird.

    Eine erstaunlich breite und kaum frequentierte Straße führt von Gandersheim hinauf zum Dorf Heckenbeck, dem Etappenziel der heutigen Tour. Dieses kleine Dorf (500 Einwohner) ist einzigartig, in vielerlei Hinsicht. Im Gegensatz zu allen Dörfern der Region gibt es hier keinen Bevölkerungsrückgang, sondern eine kontinuierlich wachsende Zahl von Dorfbewohnern. Das liegt daran, dass Heckenbeck einiges zu bieten hat: die Freie Schule und den Kindergarten Pusteblume (Träger: Verein „Aktives Leben und Lernen e. V.“), das Kulturzentrum Weltbühne, einen Bioladen, eine Solawi (Solidarische Landwirtschaft), einen Meditationspavillon (Träger: Verein „Klang der Stille“) und ein Dorfgemeinschaftshaus sowie ein Dorfareal mit ökologisch erbauten Häusern, oftmals mit Strohballendämmung errichtet. Eine nicht nur von den Neu-Heckenbeckern sehr geschätzte ärztliche Gemeinschaftspraxis gibt es zudem im Dorf. Hierher sind in den letzten zwanzig Jahren etliche junge Familien gezogen und weitere kommen hinzu.

    Am Dorfplatz empfing Ricarda Polzin die Touries. Sie war bestens vorbereitet, ein Gruppe von ungefähr 100 etwas müden, leicht sonnenverbrannten Touries auf drei Übernachtungsquartiere und zwei Zeltareale aufzuteilen. Und sie organisierte die zeitgleiche Dorfführung für mehrere Interessengruppen mit folgenden Schwerpunkten: allgemeine Dorfführung; Freie Schule; Solidarische Landwirtschaft; Meditationshaus; Kulturzentrum Weltbühne; Strohballenhausbau.

    Auf der allgemeinen Dorfführung wurde das Nebeneinander, jedoch auch das Miteinander der beiden sozialen Gruppen im Dorf beschrieben. In den verschiedenen Vereinen (Schützenverein, Bürgerverein, Schulverein u.a.) arbeiten die Menschen zusammen und versuchen, für das Dorf passende Entscheidungen zu treffen. In einigen Vereinen haben dort die Eingesessenen die Mehrheit, in anderen die Neu-Heckenbecker. Einige Vorhaben sind allerdings unmittelbar auf die Mitwirkung von alteingesessenen Dorfbewohnern angewiesen, so z. B. die SoLaWi, die Ackerflächen für den Gemüsenanbau benötigt. Auch für Neubauvorhaben ist ausgewiesenes Bauland gefragt, das baurechtlich vorhanden ist, aber privatrechtlich nicht durchweg angeboten wird. Ein Grund dafür ist, dass Baugrund von alteingessenen Familien für ihre Kinder zurückgehalten wird, wenn diese im Dorf bleiben oder dorthin zurückkehren möchten.

    Es gibt kein Gremium, in dem alle (zentralen) Belange der Dorfgemeinschaft miteinander verhandelt werden können. Ein Ortsrat ist in kleinen Dörfern nicht vorgesehen. Allerdings sind die Wahlämter des Ortsvorstehers und dessen Stellvertreters besetzt. Letztere Funktion ist an eine Neu-Heckenbecker:in vergeben. Ein informelles Miteinander und Sich-Abstimmen findet auf den sog. Klönabenden statt. Sehr gut genutzt wird der dorfbezogene E-Mail-Verteiler, über den vieles kommuniziert wird.

    Gleichwohl stellt sich auch für das Dorfprojekt Heckenbeck die grundlegende Frage, wann eine Dorfgemeinschaft zu „groß“ werden könnte. Sind es vielleicht 300 Dörfler, die sich noch alle untereinander kennen können? Dann wäre Heckenbeck schon zu groß gewachsen. Aber es könnte ja in anderen Dörfern der Umgebung ähnliches versucht werden … .

    Interessant auch das Konzept und die Praxis der Freien Schule Heckenbeck, die es seit knapp 25 Jahren als anerkannte Ersatzschule in privater Trägerschaft gibt. Das Kollegiumsmitglied Katja gab eine Führung durch die Schule. Der Schulverein ist Träger, ihm gehören die Räumlichkeiten, die einst als Bauernhaus mit Viehaltung genutzt wurden. Das alles ist um- und ausgebaut werden und bietet 125 Schüler:innen (genannt: Schülis) ein Haus zum „selbstbestimmenten Lernen“. Zehn Altersjahrgänge besuchen die Schule und verbringen ihre Schultage in interessenbasiert gewählten Kleingruppen. Die 13 festangestellten Lehrpersonen und die mehr als 20 zusätzlich tätigen Personen bieten den Schülis auch Gelegenheiten zum Erlernen des Lesens, Schreibens und Rechnens sowie zum Erwerb von jenen Fähigkeiten, die im Curriculum der Staatsschule auf diverse Unterrichtsfächer verteilt sind.

    Die Absolventen der Schule seien, so die Einschätzung der Lehrpersonen und Eltern, fast durchweg sehr selbstbestimmte, engagierte junge Menschen, die in weiteren Bildungsgängen (z. B. gymnasiale Oberstufe oder Berufsbildung) erfolgreich abschneiden.

    Das Abendessen wurde auf dem Areal der Freien Schule eingenommen. Am Abend trat dort der bekannte Protestsänger Sascha Salossi auf, der schon die Tagesetappe mitgeradelt war, auf einem Lastenrad sein Musikequipment mitführend. Sascha ist auf der Tour de Natur schon mehrfach aufgetreten, so z. B. im Jahr 2019 auf einem Abend in der Freien und Waldorfschule Hitzacker. Die Touries waren wieder begeistert. Und zum Abschluss sangen die „jungen Touries“ als Chor und begleitet von Gitarre, Geige und Percussion das Lied der „Tour de Natur“. Das war ergreifend, ganz besonders für die älteren Touries und die Urgesteine: Mit dieser Generation kann „es“ weiter gehen!

    Konzert mit Sascha Salossi auf dem Hof der Freien Schule Heckenbeck

    Text: KH3; Fotos: KH3 und KH2


  • Hannover braucht eine Verkehrswende

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    Nachdem die Tour de Natur schon gestern Hannover gemeinsam mit Verkehrsexperte Heiner Monheim erkundet hat und abends eine spannende Diskussion mit Johanna Grüne von der Region Hannover und einem ADFC-Vertreter geführt hat, ging es heute zur Sache: Mit regionaler Verstärkung ging es mit insgesamt 160 Radfahrenden über Westschnellweg und Südschnellweg, um gegen den Ausbau zu protestieren. Klimaschutz braucht Alternativen zum Autoverkehr und keinen Ausbau von Schnellstraßen und Autobahnen.


  • Durch das Braunschweiger Land

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    Es ist echt schwierig, sich während der Tour Zeit für den Blog zu nehmen. Tagsüber gibt es neben der Radfahrstrecke noch viele Info- und Aktionspunkte, abends gibt es Grüppchen, die Musik machen oder Jonglage oder interessante Gespräche. Und überhaupt, viele Menschen sehe ich nur einmal im Jahr und dann gibt es viel zu erzählen!

    Nun gut, aber die Pflicht ruft:-)

    Von Wolfsburg sind wir nach Tappenbeck, um dort gegen den Weiterbau der A39 nach Lüneburg zu demonstrieren. Wir haben mit 100 Menschen gezeigt, wie viel Platz die Autobahn einnimmt (32m Breite + Böschung). Diese Autobahn ist aus verkehrlicher Sicht nicht nötig, wird aber als Prestige und „notwendiger Lückenschluss“ verfolgt. Nur die direkt betroffenen Menschen und der BUND Gifhorn stemmen sich dagegen – und aus Klimaschutz-Gründen ist es absolut unverständlich und widersinnig.

    Als Kontrapunkt geht es nach Hondelage zum Naturerlebniszentrum, das von einem Naturgarten umgeben ist und auch mit seiner Ausstellung viel wissenswertes vermittelt.

    In Braunschweig wurden wir auf dem Kohlmarkt vom Umweltdezernenten begrüßt und versprochen, dass die Stadt mit ihrem Masterplan bis 2030 klimaneutral werden. Am Abend konnten wir bei einem Vortrag erfahren, wie das Projekt RegioStadtbahn, die großes Potential für die Verkehrswende in der Stadt und Region hatte, kläglich gescheitert ist.

    Am Exkursionstag haben viele Tour-Teilnehmer:innen die Chance genutzt, die Stadt und Umgebung zu erkunden. Ein paar sind sogar in den Harz gefahren. Für die, die nicht so früh aufstehen wollten, gab es die Möglichkeit, Wasserbüffel bei ihrer Naturschutz-Arbeit zu besuchen. Diese halten die Schunte-Auen frei. Die Initiative „langes Leben“ zollt ihnen und ihrer Arbeit Respekt und sorgt dafür, dass sie nicht geschlachtet werden.

    Eine weitere Gruppe schaut sich Braunschweig und speziell das als Radweg umfunktionierte Ringgleis unter Verkehrsaspekten an.

    Heute ging es nun weiter zum Schacht Konrad, wo uns die Aktiven der Bürgerinitiative viel zur Geschichte und zum Widerstand erzählt haben. Der Protest geht weiter, auch wenn es ruhiger geworden ist um das Thema Atomkraft und diese sogar wieder Aufwind erfährt.

    In Klein Ilsede bei Peine haben wir ein tolles Quartier bekommen, wo wir den milden Abend genießen (leider in Gesellschaft von zahlreichen Mücken). Hier hat uns sogar ein Storch besucht und die vielen Zelte auf dem Sportplatz bestaunt.

    Morgen geht es weiter in die Landeshauptstadt, hoffentlich bleiben wir trocken!